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Teuer!? Mercedes B 220 d Sports Tourer im Test

Der coolste Mercedes von allen und trotzdem nicht so gut wie erwartet

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Das mit der "Coolness" muss ich erklären. Ich verstehe, dass dieses Auto möglicherweise andere Assoziationen weckt. In der Vergangenheit war die B-Klasse ein "letztes" Auto, ein automobiler Treppenlift - so ansprechend und modisch wie ein orthopädischer Schuh. Doch das ältere Käuferklientel hat sich irgendwann entschieden, es wolle hipper rüberkommen, weshalb es nun scharenweise auf Kompakt-SUVs umschwenkt.

Ich dachte immer, das Beste am alt sein sei, dass einem alles egal ist. Vielleicht ändert sich das, wenn Ü70er zu viel Zeit auf Instagram verbringen? Lange Rede, kurzer Sinn: Das angestaubte Image der B-Klasse verflüchtigt sich schneller als der Geruch von Klosterfrau Melissengeist! Außerdem: Cool war schon immer der, dem alles egal war und was sagt deutlicher "Ist mir egal" als das Fahren einer B-Klasse!?

Nur minimal lifestylig. Zum Glück!

Noch viel wichtiger: Die Mercedes-Marketingabteilung verpasst der B-Klasse nur eine minimale Lifestyle-Behandlung. Das macht das Auto sofort sympathisch. Mit dieser Grundhaltung nähere ich mich also dem 220 d Sports Tourer. An dieser Stelle muss man den Namen Sports Tourer ignorieren. Dieses Auto ist nicht sportlich! Und falls sich das "Sports" auf das Ausüben einer Equipment-intensiven Sportart beziehen sollte, sind Sie mit 430 bis 1.515 Liter Kofferraumvolumen zwar okay, aber nicht großartig aufgestellt.

Gleiches gilt für Anhängelast (1.600 Kilo gebremst) und Zuladung (535 Kilo). Der 220 d zeichnet sich natürlich durch seinen Motor aus. Der Zweiliter-Reihenvierzylinder-Diesel (Euro 6d-Temp) leistet 190 PS und ist mit 400 Newtonmeter (1.600 bis 2.600 U/min) in der Lage, die Vorderräder auf Wunsch zu überfordern. Eine allradgetriebene Variante wird ebenfalls angeboten (ab 41.465,55 Euro), der Testwagen hat Frontantrieb.

Was wirklich beeindruckt, ist die Sparsamkeit des Motors. Wir sind einen Großteil der Testkilometer auf der Autobahn gefahren - rund 800 Kilometer. Die meiste Zeit mit rund 160 km/h. Von sparsamer Fahrweise kann also keine Rede sein. Trotzdem liegt der Durchschnittsverbrauch bei 6,6 Litern. Wer bewusst sparsam fährt, kann sogar den von Mercedes angegebenen Verbrauch erreichen (siehe Tabelle unten)!

Die Fahrleistungen sind eigentlich bedeutungslos (wieder siehe Tabelle), da man nie das Bedürfnis nach mehr Leistung verspürt. Es geht gut voran und das adaptive Fahrwerk (Technik-Paket: 3.522,40 Euro) buttert einfach alles weg. So muss ein Mercedes fahren! Ich will gar nicht aus dem Komfort-Modus wechseln, tue es zu Testzwecken trotzdem und bin sofort enttäuscht.

Oh je! Sportmodus

Dieses Auto hat einen Sport-Modus! Das ansonsten hervorragende Achtgang-DKG sortiert sich nun mit der Gelassenheit eines gestressten Wiesels. Das Fahrwerk spannt sich unbequem an, ohne mehr Kontrolle zu vermitteln und die sehr leichtgängige und unpräzise Lenkung … bleibt leichtgängig und unpräzise. Dieser Modus macht keine Freude. Am besten immer in Komfort bleiben.

In Komfort spielt einfach alles wunderbar zusammen. Die B-Klasse fährt wie durch Watte. Vielleicht mag das mancher kritisieren, doch bei diesem Auto ist es absolut sinnvoll. Auch nur die geringste Andeutung von Sportlichkeit, wie sie bei so vielen Autos oft erzwungen wird, würde alles ruinieren. Die äußerst bequemen Sitze sind das I-Tüpfelchen. Im sogenannten Energizing-Plus-Paket (2.975 Euro) bekommt man Massagefunktion und noch allerhand Wellness-Gedöns. Darunter Videoanleitungen zur Lockerung der Muskulatur und Audio-Informationen zur "Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden im Alltag".

Wenn Sie jetzt sagen, das ist doch etwas übertrieben, haben Sie wahrscheinlich Recht. Ein Merkmal der B-Klasse ist allerdings, dass Sie nahezu jede Technikspielerei bestellen können. Dazu gehört natürlich MBUX mit Sprachsteuerung. Was sinnvoll ist, kann jeder selbst entscheiden.

Was! So teuer?

Allerdings summieren sich die nicht immer günstigen Extras schnell, womit wir zum größten Problem des B 220 d kommen: dem Preis. In der Basis kostet das Modell 39.264,05 Euro. Das getestete Fahrzeug kostet absolut erschütternde 60.208,05 Euro! Das sind Sphären, die jenseits der Vernunft liegen. Dass ich nicht der einzige bin, der so denkt, sieht man an den Preisen, die Händler aufrufen. Rabatte von 15.000 Euro und mehr für Fahrzeuge mit nur wenigen Tausend Kilometern oder Tageszulassungen sind möglich. Das zeigt, auch die Händler haben die Utopie der Mercedes-Preispolitik erkannt.

Was bei der B-Klasse besonders auffällt: Überwiegend halten Extras und technische Spielereien als Rechtfertigung für den Preis her. Trotzdem dringen beispielsweise Windgeräusche an der A-Säule in den Innenraum (ab ca. 100 km/h). Im Allgemeinen ist die Dämmung auf einem Niveau, das nicht im Einklang mit dem Preis steht. Features wie die Verkehrszeichenerkennung funktionieren zudem unzuverlässig. Das System präsentiert so oft falsche Geschwindigkeitsbegrenzungen, dass man es am besten komplett ignoriert (oder sich diese Funktion spart).

Ähnlich sieht es beim Spurhalteassistenten aus, der nicht durch Lenken die Spur korrigiert, sondern durch unangenehme Bremseingriffe. Das stört vor allem dort, wo das System die Linien nicht korrekt erkennt und unvermittelt zuschlägt.

Fazit: 7/10

Nichtsdestotrotz: Der B 220d ist ein gutes Auto, wenn man sich bei den Extras zurückhält und auf das Wesentliche reduziert. Diese Infos sollen potenzielle Käufer nicht abschrecken. Vor allem, weil man beim Händler nicht so viel zahlen muss (sollte), wie es Mercedes gerne hätte.

Die Verarbeitungsqualität im Innenraum gehört zur besten der Klasse. Ein- und Ausstieg sind durch die hohe Sitzposition bequem möglich und das Platzangebot in der zweiten Reihe ist auch für größere Personen ausreichend. Konzeptionell ist die B-Klasse vielen Kompakt-SUVs überlegen. Die Karosserieform sorgt für ein angenehmes Raumgefühl und die verhältnismäßig großen Fensterflächen (Ausnahme: hinten) erleichtern die Übersicht.

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