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Gelifteter Renegade im Test

Jeeps Kleinster hat jetzt viele neue Motoren. Sind sie gut?

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Balocco, 15. Juni 2018 - Jeep geht es blendend. Schneller wächst in Europa derzeit kein anderer Hersteller. Vermutlich nicht, weil immer mehr Menschen gerne im Dreck spielen, sondern weil die Marke nichts anderes verkauft als SUVs. Das trifft sich derzeit ganz gut. Auch in den ganz kleinen Segmenten übrigens. Der Renegade beweist es mit 800.000 Verkäufen im EMEA-Raum seit seiner Einführung 2014. Sein Erfolgsrezept? Wohl nicht unbedingt Dinge wie Perfektion oder vollendeter Feinschliff. Er sieht halt einfach aus, als müsste man sich sofort in ihn verlieben. Dieser kleine, knuffige Kerl, der doch so gerne ein richtig Gemeiner wäre wie sein großer Bruder Wrangler. Er hat Charakter und er ist offroad für seine Klasse völlig overdressed. Mit diversen vollwertigen Allrad-Versionen und einem richtigen Gelände-Derwisch (Trailhawk) mit erhöhter Bodenfreiheit und besseren Rampenwinkeln. All das macht ihn zum hemdsärmeligen Charmebolzen in einer Klasse eher gesichtsloser City-Roader-Klone wie Seat Arona, Renault Capture und Co. Jetzt hat der Renegade ein Facelift erhalten. Das zweite innerhalb eines halben Jahres wohlgemerkt.

Ungewöhnlich. Was ist passiert?
Zum Modelljahreswechsel im Januar 2018 waren wohl die neuen Motoren noch nicht fertig. Dort gab es zunächst nur Innenraum-Feinschliff mit größeren und fähigeren UConnect-Infotainmentsystemen. Diese haben gegen Aufpreis sieben oder 8,4 Zoll und können jetzt auch AppleCarPlay/Android Auto. Mit dem jetzigen Facelift kriegt der Jeep Renegade erstmals (optionale) LED-Scheinwerfer sowie neue Schürzen und einen geänderten Grill. Beides rückt ihn optisch näher an den neuen Wrangler und das ist - zumindest aus unserer Sicht - eine gute Sache. Der Renegade wirkt etwas gehobener, ohne seinen "Ich-bin-ein-Hardcore-Gelände-Pokemon"-Charme zu verlieren. Das wichtigste am ganzen Facelift sind aber eindeutig die neuen Aggregate. Und davon gibt es einige. Weil Jeep - warum auch immer - Motoren, Getriebe und Antriebsvarianten ziemlich wild und undurchsichtig mixt, könnte es jetzt etwas kompliziert werden. Also gut aufgepasst, verehrter Leser …

Die Ohren sind gespitzt …
Dann wollen wir mal: Der 1,6-Liter-Sauger (110 PS) und die beiden 1,4-Liter-Turbos (140, 170 PS) fliegen raus. An ihre Stelle treten ein 1,0-Liter-Dreizylinder-Turbo mit 120 PS und 190 Newtonmeter sowie zwei 1,3-Liter-Vierzylinder-Turbos mit 150 und 180 PS sowie 270 Newtonmeter. Alle drei sind nagelneu, fast vollständig aus Aluminium (der Dreipötter wiegt nur 93 Kilo), haben einen Partikelfilter und erfüllen Euro 6d-Temp. Die drei Diesel mit 1,6 Liter (120 PS) und 2,0 Liter Hubraum (140, 170 PS) wurden überarbeitet. Mit neuen Turbos für besseres Ansprechverhalten und einem SCR-Kat samt AdBlue-System. Also nun auch hier Euro 6d-Temp. So weit so gut. Doch jetzt wird's komplex: Den 1,0-Liter-Benziner kriegen Sie nur mit Sechsgang-Schaltgetriebe. Der 1,3er-Benziner mit 150 PS kommt exklusiv mit Sechsgang-Doppelkupplung und der 1,3er mit 180 PS erhält die ZF-Neungang-Automatik. Wenn Sie Allrad wollen, müssen Sie zwangsläufig zum Top-Benziner greifen. Oder zu einem der beiden großen Diesel. Die gibt es nur mit vier angetriebenen Rädern. Und mit Neungang-Automatik. Der kleine Diesel ist immer ein Fronttriebler, kommt mit Handschalter oder Doppelkupplung.

Hä?
Genau, wer hat sich sowas ausgedacht? Dazu kommt: Jeep hat bisher keine technischen Daten anzubieten, weil die neuen Maschinen erst noch homologiert werden müssen. Damit wir wenigstens ein bisschen Licht ins Dunkel bringen (und weil es beim Testtermin nichts anderes zu fahren gab), führen wir Sie nun durch den Benziner-Dschungel. Der neue Einliter-Dreizylinder wirkt leider nicht so spritzig und aufmüpfig, wie wir das von anderen Dreipöttern kennen. Ein bisschen fühlt er sich an wie ein Kleinwagen-Motor, der einen dicken 4x4-Geländewagen anschieben muss. Natürlich schiebt er nur einen kleinen, frontgetriebenen Geländewagen an, aber es ändert nichts - aus Kreisverkehren, Ortsein- oder Autobahnauffahrten wirkt das alles etwas zäh. Der Bordcomputer-Verbrauch von 8,9 Liter macht die Sache auch nicht unbedingt besser. Immerhin klingt er herzhaft dreizylindrig, aber nie laut oder nervig. Und auch das Sechsgang-Schaltgetriebe ist eine positive Erscheinung. Kürzer und weniger gummig als bei früheren Jeep-Versuchen.

Und der Vierzylinder?
Der Einsdreier mit 150 PS ginge theoretisch drei Klassen besser und schöbe den Renegade auch sehr ordentlich vorwärts. Leider macht das Sechsgang-DCT all seinen Bemühungen den dicksten Strich durch die Rechnung, den wir seit seeehr langer Zeit gesehen haben. Wir mussten uns mehrmals rückversichern, dass es sich hierbei nicht um eine Dreigang-Automatik aus einem 80er-Jahre-Kleinwagen handelt. Oder um ein sehr betagtes CVT-Getriebe. Beim Kickdown passiert genau ... nichts. Das Auto müht sich aus dem Drehzahlkeller, als hätte es 50 PS. Oder keine ersten drei Gänge. Dann plötzlich wacht die Box auf und überwältigt die Vorderräder mit viel zu viel Schub. Auch insgesamt werden die Gänge viel zu lange gehalten, was den armen Motor deutlich lethargischer erscheinen lässt, als er ist. Hier sollte Jeep bis zum Marktstart dringend Hand anlegen. Ansonsten bleibt nur der 180-PS-Topbenziner mit der spürbar besseren Neungang-Automatik. Aber der ist gleich wieder deutlich teurer. Das gilt auch für die an sich guten Diesel. Gerade die Zweiliter überzeugen. Das Problem: Bei einem eher urban genutzten Klein-Crossover sind Selbstzünder derzeit in etwa so beliebt wie Fifa-Funktionäre.

Und wie fährt der Renegade?
Nach dem Facelift nicht anders als vorher. Er wird in diesem Leben keinen Preis mehr für Handling oder Sportlichkeit bekommen, aber für etwas, das die Form eines fahrenden Wohnblocks hat, macht er sich richtig gut. Erwarten Sie keine besonders gefühlvolle, direkte Lenkung, aber der Renegade wankt nicht zu stark und braucht - auch als Fronttriebler - in schnell gefahrenen Kurven erstaunlich lang, bis er die Contenance verliert. Der Federungskomfort ist grundsätzlich gut. Je größer die Räder, desto hibbeliger wird er natürlich. Wenn Sie derartiges aus der Fassung bringt, dann tauschen Sie die schicken 19-Zöller gegen die kleineren 17-Zoll-Räder.

Und der Innenraum?
Der ist ja traditionell eine Stärke des Renegade. In puncto Platzangebot ist er in seiner Klasse nach wie vor führend. Kopf- und Schulterfreiheit sind auf allen Plätzen enorm. Hinten werden nur Hühnen mit ihren Knien an Grenzen stoßen. Der Kofferraum geht mit 351 bis 1.297 Liter in Ordnung. Zum Vergleich: Der Seat Arona bietet 400 bis 1.280 Liter, der Opel Crossland X 410 bis 1.255 Liter. Die Materialanmutung wirkt nicht gerade teuer, aber vertrauenerweckend robust. Ansonsten bleibt zu hoffen, dass Sie Emoticons oder andere Arten von "niedlichen" Motiven mögen, denn das Renegade-Cockpit ist vollgestopft mit Comic-haften Darstellungen des berühmten Jeep-Grills. Den "since 1941"-Schriftzug hat man allerdings entfernt. Genau wie die Schlammpfütze als roten Bereich im Drehzahlmesser. Hier ist alles wieder, wie es sein soll - rot. Das 8,4-Zoll-Navi überzeugt mit klaren, detaillierten Grafiken und guter Geschwindigkeit, wirkt aber teils etwas überfrachtet. Dass es noch echte (und große) Tasten und Regler für die Klima-Bedienung gibt, verdient Lob. Ebenfalls gut: Jeep hat im unteren Cockpit-Bereich etwas aufgeräumt und mehr Stauraum geschaffen.

Was muss ich sonst noch wissen?
Der Renegade hat jetzt das volle Programm an Assistenzsystemen. Inklusive Notbremsfunktion, Abstandstempomat, aktiver Einparkhilfe und aktivem Spurhalteassistent. Ist letzterer aktiviert, empfiehlt es sich unter allen Umständen, die Hände am Lenkrad zu lassen. Wird das missachtet, ertönt nach etwa zehn Sekunden ein Ton, der in all seiner Schrillheit so beängstigend ist, dass man am liebsten sofort aus dem Auto springen und im nächstbesten Atombunker verschwinden möchte.

Und die Preise?
Hat Jeep für den gelifteten Renegade ebenfalls noch nicht herausgegeben. Es bleibt aber bei den Linien Sport (Basis), Longitude (der beste Allround-Mix), Limited (voll bis unters Dach, aber teuer) und Trailhawk (außerhalb eines Canyons oder Offroadparks noch nie gesehen). Markstart ist im September 2018. Ab Juli kann bestellt werden. Letztlich bleibt sich der Jeep Renegade auch nach der Modellpflege treu. In einer Klasse voller relativ gleicher Crossover-Roboter ist er eine echte Ausnahme mit extrem liebenswerter Optik, tollen Offroad-Fähigkeiten und viel Charisma. Wer das Mini-Me-Jeep-Gefühl will, muss eben mit einigen Unausgegorenheiten leben. Dazu zählen leider auch die neuen Antriebe.

Gesamtwertung
Unter all den Stonics, Aronas, Crosslands und Co. ist der Renegade eine hochcharmante Ausnahmeerscheinung. Unter den kleinen Crossovern ist er wohl der einzige, den man nicht völlig rational kauft. Sein Fahrwerk ist Mittelmaß, er ist lauter, ungehobelter und fährt schwammiger als die Konkurrenz. Leider sind auch die neuen Benziner nicht der allerletzte Schrei. Aber trotzdem ist es völlig verständlich, wenn Sie ihn mehr wollen als die vielen gesichtslosen Alternativen. Wegen seines Aussehens, wegen seines "Way of Life". Oder wenn Sie gesteigerten Wert auf Offroad-Fähigkeiten legen, denn hier ist er unschlagbar. Auch der Innenraum ist gut gemacht und sehr geräumig. Wenn Sie seiner Knuddel-Actionheld-Optik erlegen sind, werden Sie auch über die Schwächen hinweg sehen. Wenn nicht, dann finden Sie sicher genügend "Von A nach B"-Alternativen.

+ begehrenswerte Optik; geräumiger Innenraum; Offroad hervorragend; gute Ausstattung

- etwas ungeschliffenes Fahrverhalten; unausgegorene Antriebe (und Getriebe)

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