Sind die Benziner und der Plug-in-Hybrid wirklich eine gute Wahl oder sollte man auf den Diesel warten?
Die Zukunft in der Bulli-Welt wird komplizierter. VW Nutzfahrzeuge positioniert den neuen Multivan ab sofort als Fahrzeug für den privaten Verwendungszweck. Aufgrund der Skalierbarkeit sowie Synergie-Effekten greift man auf viele Teile aus dem Modularen Querbaukasten (MQB) zurück.
Auf der anderen Seite bleiben die Modelle um Caravelle, Transporter und Pritsche auf T6.1-Basis vorerst erhalten. Und zwar bis man in Hannover dann in diesem Geschäftsbereich gemeinsame Sache mit Ford macht.
Aber auch der California und das Modell mit Diesel plus Allradantrieb bleiben erst einmal auf Basis der alten Nutzfahrzeug-Plattform stehen. Hier werden Änderungen erwartet, sobald 2024 eine elektrische Hinterachse in die MQB-Abwandlung in Bus-Form entwickelt wurde. Und dann wäre da ja noch das lange erwartete E-Modell im Bus-Universum - der ID. Buzz auf der MEB-Plattform. Er soll 2022 vorgestellt werden und das Modellportfolio zusätzlich ergänzen.
In Zukunft wird es also nicht mehr nur noch eine Baureihe geben, die sich einfach T7 schimpft, sondern gleich drei völlig unterschiedliche Bullis. Oder wie der Volkswagen-Konzern es zu sagen pflegt: "Für jeden den Richtigen." Wir konnten nun vor der Markteinführung des neuen Multivan in KW 46/2021 (ab dem 15.11.) schon eine erste Probefahrt mit dem MQB-Angehörigen des neuen Triumvirats unternehmen. Ob das Modell, das vorerst nur mit zwei Benzinern und einem PHEV-Antrieb kommt, überzeugen kann? Test!
Starten wir deshalb gleich mit der wichtigsten Frage, die wohl allen Bulli-Fans unter den Nägeln brennt: Ein Bus (vorerst) ohne Diesel? Kann das funktionieren? Die Antwort darauf lautet: Ja, kann es. Allerdings nur bis zu dem Punkt, an dem ein Anhänger ins Spiel kommt oder die maximale Zuladung ausgereizt werden soll.
Dann könnte das Drehmoment von 220 bzw. 320 Nm etwas spärlich werden. Und gerade der kleine Motor realisiert lediglich eine Anhängelast von 1,6 Tonnen mit dem Multivan. Da wird manch einer seinen alten Wohnwagen stehen lassen müssen ...
Trotzdem ... und ja ... es klingt auch für uns komisch: Wir müssen zugeben, dass wir jeweils mit der Einstellung losgefahren sind, dass die Ottomotoren (1,5-Liter-Vierzylinder mit 136 PS und 2,0-Liter-Vierzylinder mit 204 PS) bei den Testfahrten für eine große Enttäuschung sorgen werden.
Wir wurden eines besseren belehrt. Sogar das kleine Derivat wirkt nur im äußersten Notfall sowohl in Sachen Vortrieb oder Durchzug überfordert und quittiert diesen Umstand mit einem angestrengten Jaulen. Mit dem großen Benziner sind diese minimalen Kritikpunkte nicht mehr gegeben.
Beide Motoren werden nur in Verbindung mit einem Siebengang-DSG angeboten, dass seine Arbeit VW-typisch ohne Beanstandung erledigt. Allerdings etwas komfortabler und gemächlicher ausgelegt als in den Pkw-Modellen des Herstellers. Der ausgewogene Frontantrieb des Multivan sei ebenfalls erwähnt.
Der Verbrauchsunterschied zwischen den Vierzylindern liegt bei etwa einem Liter auf 100 km. Während wir unsere Testrunde mit 136 PS mit durchschnittlich 7,9 Litern absolvieren konnten, benötigte die 204-PS-Maschine rund 9 Liter.
Durch den MQB-Einsatz konnte im Multivan aber auch ein PHEV-Antriebsstrang realisiert werden. Die Fakten: Er besteht aus einem 1,4-Liter-Vierzylinder mit 110 kW, einem 85 kW starken E-Motor und einem Sechsgang-DSG. Das System treibt exklusiv die Vorderräder an, ein Lithium-Ionen-Akku mit 10,4 kWh (netto) ermöglicht laut WLTP-Zyklus eine E-Reichweite von 50 km (realistisch sind eher 30 km), die Systemleistung liegt kurzzeitig bei 218 PS und das maximale Drehmoment gibt der Hersteller mit 350 Nm an. Klingt potent. Aber bei der Anhängelast ist wieder bei 1,6 Tonnen Schluss. Schade.
Dafür kann der sogenannte eHybrid aber mit der bislang besten Relation zwischen Leistung und Verbrauch punkten. Man kann den Akku zwar in 5 Stunden an einer 220-Volt-Haushaltssteckdose laden, wir starteten aber mit leerem Stromspeicher. Gerade auf der Langstrecke ist dieses Szenario nämlich irgendwie realistischer.
Trotzdem konnten wir einen Benzinverbrauch von 7,5 Litern je 100 km einfahren. Die ebenfalls angegebenen 5,5 kWh/100 km stammen aus der rekuperativen Energiegewinnung oder wenn der Verbrenner als Stromerzeuger im Hybrid-Modus herhalten musste. Wenn die Akkus voll wären ließe sich übrigens bis zu 140 km/h elektrisch fahren.
Einen großen Schritt weg aus der Nfz-Region macht auch das Fahrwerk. Durch Schräglenker hinten, größer dimensionierte Gummilager und eine Gewichtsersparnis von 45 kg durch den Einsatz von Aluminium sowie in Verbindung mit der 8 kg leichteren Karosserie, die gleichzeitig auch noch 50 Prozent in der Torsionssteifigkeit verbessert wurde, wird aus dem People-Mover auf der Straße ein größerer und schwererer VW Sharan (mindestens 2,1 Tonnen) in VW-Bus-Optik. Ganz so leichtfüßig-agil wie ein Pkw fährt der neue Multivan also immer noch nicht, echtes Transporter-Flair kommt aber nicht mehr auf.
Zu diesen subjektiven Empfindungen tragen aber nicht nur das bessere Einlenkverhalten und die stark verringerte Wankneigung bei. Der MQB macht auch das Cockpit und alle verbauten Systeme für Assistenz und Infotainment so modern wie nie. So können im Zuge des Multivan auch endlich Begriffe wie beispielsweise IQ.Drive fallen.
Mit diesem Ausdruck fasst VW die Bündelung sämtlicher Assistenzsysteme zusammen und neben sicherheitsrelevanten Helferlein kann der Bus jetzt auch mit dem sogenannten Travel Assist ausgestattet werden, der unter Supervision der Fahrer:innen wirklich gut alle fahrrelevanten Aufgaben übernimmt.
Schön aussehen tut das Cockpit ebenfalls. Das digitale Kombiinstrument hinterm Lenkrad ist dazu serienmäßig und wenn man sich erst einmal an die Bedienung des 10-Zoll-Touchscreens in der Mittelkonsole sowie die umliegenden Knöpfen gewöhnt hat und den einen oder anderen Shortcut (z.B. zur Sitzheizung via Druck auf beide Temperaturregler) gelernt hat, macht das Layout aller Funktionen durchaus Sinn.
Abzüge gibt's für den MQB-Bus trotzdem. Bei der Verarbeitung im Detail und der Materialwahl. Über beides lässt sich aber sicherlich streiten. Wir finden den Einsatz von Hartplastik an vielen Stellen hier nämlich weniger problematisch wie beim neuen ID.4.
Die Kernkompetenzen des Multivan sollen neben dem hinzugewonnenen Pkw-Komfort in der neuen Generation noch immer die Funktionalität und das Platzangebot sein. Kommen wir also zu den allgemein gültigen Zahlen und Fakten der Baureihe: Im Vergleich zum Vorgänger ist die Neuauflage um acht Zentimeter flacher geworden.
Sie misst jetzt 1,9 Meter in der Höhe. Gut für Parkhäuser. Vermeintlich schlecht für den Innenraum. Weil VWN die Ausströmer der Lüftung der hinteren Sitzreihen aber an die Seite des Daches verlegt hat und auf Wunsch auch ein Panorama-Glasdach verbaut, können in diesem Fall sogar zwei Zentimeter mehr an Höhe gewonnen werden.
Die Länge beträgt 4,98 Meter. Als L2 gegen 1.862 Euro Aufpreis sind es 20 Zentimeter hinterer Überhang mehr. Über 4.000 Liter passen so maximal in den neuen Multivan. In der kurzen L1-Variante sind es ohne Sitze im hinteren Abteil immerhin 3.672 Liter. Aber so als puristischer Zweisitzer wird der Bus für den Privathaushalt wohl selten bewegt und deshalb lassen sich bis zu fünf weitere Sessel sowie ein neuer Multifunktionstisch auf den durchgängigen Schienen positionieren, nach Belieben verschieben sowie ein- und ausbauen.
Letztere Aufgabe gelingt übrigens ziemlich leicht, denn die schmalen Einzelsitze (eine richtige Rückbank gibt es ab sofort nicht mehr im Multivan-Programm) sind 25 Prozent leichter geworden und wiegen jetzt pro Stück weniger als ein 30 kg Sack Haftputz.
Außerdem lassen sich die Schienen gegen Aufpreis elektrifizieren. So kann über Stromabnehmern in den Sitzen auch auf den hinteren Reihen eine Plug-and-Play-Heizung eingebaut werden. Ziemlich komfortabel. Und variabel ebenfalls.
Wenn Ihnen jetzt noch das Design zusagt, das aus einer Mischung von Bulli-Zitaten, Fußgängerschutz-Vorgaben und Aerodynamik-Notwendigkeiten zusammengesetzt ist, sollten wir über den Preis reden ...
Mindestens 44.839 Euro wollen investiert werden. Für das Basismodell mit 136-PS-Benziner. 49.932 Euro sind dann schon für das 2,0-Liter-Aggregat nötig und wenn Sie den eHybrid wünschen, sollten Sie mit mindestens 57.174 Euro rechnen.
Aber die 43-seitige Preisliste kann noch mehr. Viel mehr. Und so lässt sich neben den höheren Ausstattungslinien "Life" und "Style" auch noch das Launch-Modell namens "Energetic" ordern, dass preislich auf "Style"-Niveau liegt und den PHEV schon mal knapp 67.800 Euro teuer macht.
Ist das jetzt volle Hütte? Fehlanzeige! Es gibt noch viele Punkte, die sich VW selbst in der höchsten Ausstattungslinie immer noch extra bezahlen lässt. Beispiele wären das Head-up-Display (1.244 Euro), die AGR-Komfort-Sitze vorne (2.844 Euro), der bereits erwähnte Travel Assist (1.232 Euro), das Navigationssystem "Discover Pro" (660 Euro), die elektrischen Schiebetüren (1.297 Euro), das adaptive Fahrwerk (1.357 Euro) oder auch Selbstverständlichkeiten wie die vordere Sitzheizung (470 Euro) sowie ein Multifunktions-Lederlenkrad mit Heizung (154 Euro). 90.000 Euro für einen Multivan? Möglich!
Wenn der VW Sharan stirbt, ist der neue T7 Multivan in Sachen Fahrverhalten sicher ein guter Nachfolger für den Van. Die Benziner und der PHEV-Antrieb passen überraschend gut zu dem großen Fahrzeug und solange Sie nichts ziehen müssen, muss man auch nicht unbedingt auf den 150 PS starken Diesel im kommenden Jahr warten.
Die umfangreiche sowie moderne Ausstattung, die der MQB möglich macht, tun dem Multivan ebenfalls gut. Der Preis ist allerdings eine Hausnummer und wenn Sie diesen nicht zahlen, auf den neuesten Komfort-Schnickschnack verzichten und authentischeres Nfz-Bulli-Feeling haben möchten, dann gibt es ja immer noch den T6.1 Caravelle.