Viel Blech, viel Chrom, viel Glanz. Und wir mittendrin statt nur dabei
Oldtimer-Clubtreffen benötigen meist viel Parkraum. Handelt es sich jedoch um die größte Zusammenkunft von Cadillac-Fans in Europa, muss die nötige Fläche richtig groß sein. Nur gut, dass man sich heuer im flächenmäßig größten Bundesland von Deutschland traf, nämlich in Bayern. Genauer gesagt, im Großraum München.
"Grand European Cadillac Treffen" heißt das Ganze und der Name ist gleich doppelt Programm: Rund 60 mehrheitlich alte Ami-Schlitten und jeder ist in der Tat groß. Sehr groß. Ein Cimarron (der infame Cadillac-Ascona) war nämlich nicht dabei. Den Löwenanteil stellten die riesigen Straßenkreuzer der Ära zwischen 1950 und 1975. Viel Chrom, glänzender Lack. Durchschnittliche Länge: 5,50 Meter, oft auch an 5,70 Meter und mehr herangehend.
Doch das stört weder die erstaunlich lässigen Besitzer jener Schlitten noch die vielen freudig winkenden Zuschauer. Selbst wer nicht autoaffin ist, kann mit dem Namen Cadillac etwas anfangen. Vielleicht liegt es an der Optik, die so gar nicht zu europäischen Marken passt. Natürlich gibt es ikonische US-Modelle wie den Ford Mustang oder die Chevrolet Corvette. Aber Cadillac ist DIE US-Marke schlechthin. Obwohl nicht mal Autokenner alle ihre Baureihen seit 1902 im Kopf haben dürften.
Natürlich schwingt auch wohlige Nostalgie mit. An das (zumindest an der Oberfläche) gute Amerika der 50er und 60er, das auf die Nachkriegskinder in Europa wie ein ferner Planet wirkte. Was für ein Aufsehen, wenn inmitten von BMW Isetta, VW Käfer und vielleicht mal einem Mercedes 180 plötzlich ein funkelndes Raumschiff mit gigantischen Heckflossen vorbeikam.
Nicht zu vergessen auch der Einfluss von Cadillac auf die Popkultur. Man denke nur an die Cadillac-Manie von Elvis, "Pink Cadillac" von Bruce Springsteen oder, nun ja, "Geronimo's Cadillac" von Modern Talking. Oder oft präsent im Fernsehen: Die US-Präsidenten im Cadillac bis hin zum aktuellen Amtsinhaber in "The Beast". Der gemeine US-Rapper zeigt sich gerne im dicken Escalade, im Film war die Mafia gerne im Cadillac unterwegs. Ebenso Brad Pitt und Leo DiCaprio in "Once Upon a Time in Hollywood".
Während mein Blick über den unglaublichen Cadillac-Parkplatz schweifen lasse, denke ich bei mir: Eine Marke wie Elvis oder Elton John. Nicht immer ganz geschmackssicher, gerne schrill, aber jeder hat davon schon einmal gehört. Zunächst klemme ich mich hinter das Lenkrad des neuen Vistiq (Elektro, 5,22 Meter lang), mehr dazu auf unserer Schwesterseite InsideEVs Deutschland.
Aber als Fan von Altblech umschwirre ich natürlich die teils sogar aus den USA angereisten Oldtimer wie eine Wespe den Frühstückstisch. Ich sehe viele Schweizer Kennzeichen, dort sind US-Cars beliebt, auch weil GM lange ein Montagewerk in Biel hatte. Autos von Cadillac wurden hingegen in kleinen Stückzahlen in Antwerpen montiert. Die höchste Anzahl klassischer Cadillac bezogen auf die Einwohnerzahl gibt es übrigens in Schweden.
Interessant auch: Die versammelten Fleetwood, DeVille oder Eldorado sind keineswegs US-Importe. Georg, der mich für eine Etappe in seinem Cabrio mittnimmt, sagt: Alle seine drei Autos haben einen europäischen Hintergrund. Mit seinem Eldorado Biarritz von 1959 gehört er zu den heimlichen Stars des Treffens. Das mächtige Fahrzeug aus dem Jahr mit den extremsten Heckflossen glänzt innen wie außen in einem Rosé-Farbton. Wert: Gehoben sechsstellig.
Ich nehme mit etwas angewinkelten Knien auf der sofaartigen Rückbank Platz. Nachdem Georg an der Ampel ums Eck gebogen ist, sagt er: Wenn Du mehr hörst als das hier, stimmt etwas mit dem Motor nicht. Während ich mich schon anstrengen muss, irgendeine Äußerung vom 6,4-Liter-V8 zu hören. Mehr ein zartes Grummeln im Hintergrund ist nicht. Wozu auch: Der Block holt seine Kraft aus der Tiefe des Raums, um es fußballerisch auszudrücken. Motorhaube und Kofferraum würden wohl als Kleinfeld-Platz durchgehen.
Im Cockpit funkelt das Chrom um die Wette, unzählige Tasten und Schalter erleichtern Georg die Arbeit. Servolenkung und Automatik sind natürlich Pflicht. Gleichzeitig zeigt das sogenannte "Magic Eye" auf dem Armaturenbrett, dass die Marke Cadillac abseits von schlichten Fahrwerken durchaus innovativ war. Nur eben auf dem Gebiet des Komforts.
Wir schweben auf Wolke 6,4 wie Gott in Oberbayern. Georg erzählt mir, wie er zu seinem Traumschiff kam: Im Jahr 2008 suchte ein Kunde ein solches Fahrzeug für einen Custom-Umbau. Georg flog dafür bis nach Australien und brachte das große Cabrio mit. In der Werkstatt in Österreich erhielt es ein modernes Fahrwerk. Nach einigen Jahren verlor der Kunde das Interesse, was für Georg die Chance war, das Fahrzeug zu übernehmen - zumal das originale Fahrgestell aufbewahrt worden war. So konnte es quasi eine zweite Hochzeit geben.
Er verrät mir außerdem, dass die Jahrgänge bis 1965 bei Cadillac qualitativ am besten waren. Bis Ende der 1970er-Jahre ging die Verarbeitung der klassischen "Caddys" sukzessive den Bach runter. Und was ist mit der Frage aller Fragen: Was verbraucht er denn? Georg schmunzelt. "Es kommt immer auf gut eingestellte Vergaser an." Sein Bestwert auf der Langstrecke waren einmal 13 Liter, bis zu 18 Liter seien möglich. Nicht viel für so ein großes Auto mit so einem starken Motor, denke ich mir. Zumal ein VW 1302 oder 1303 in den 70ern auch gut soffen und ein BMW 525 mit 15 Litern im Schnitt im damaligen Vergleichstest gut abschnitt.
Um seinen eigenen Nachwuchs macht sich Georg keine Sorgen. "Der ist noch tausendmal verstrahlter als ich", sagt er und lacht. Auf der letzten Etappe mehr merke ich: Es geht noch mehr. Grund dafür ist Tom Keegan, der mich in seiner V-16 Fleetwood Limousine 9059 mitnimmt. Sie lesen richtig: sechzehn Zylinder. Nur noch vier Fahrzeuge des Jahrgangs 1939 existieren weltweit noch, Tom gehört eines davon. Den mächtigen schwarzen Wagen hat er aus den USA mitgebracht, um damit im Anschluss an das Treffen noch Europa zu bereisen.
Bis zu sechs Meter kann solch ein V16 lang sein, zu dem Wikipedia weiß: Eine grundlegende Überarbeitung stand zu Beginn des Modelljahres 1938 an. Die Wagen wurden deutlich kleiner (Radstand 3581 mm anstatt 3912 mm) und entsprachen damit der Serie 75. Der obengesteuerte V16-Motor wurde durch ein seitengesteuertes Exemplar mit kürzerem Hub (quadratische Auslegung mit Bohrung = Hub = 3,25 Zoll) mit 135° Zylinderwinkel ersetzt. Der Motor besaß einen Hubraum von 7063 cm³ und leistete ebenfalls 185 hp bei 3600/min. Die Verdichtung stieg von 6,0 auf 7,1.
Im Sommer 1940 wurde die Serie 90 ersatzlos eingestellt. Bis dahin waren von fünf Generationen (36-90, 37-90, 38-90, 39-90 und 40-90) insgesamt 616 Stück entstanden. Schon damals also selten, die Kundschaft im von der Wirtschaftskrise gebeutelten USA griff lieber zu kleineren Cadillac-Modellen oder gleich zum exaltierten Duesenberg oder Cord.
Toms V16 erinnert in seiner schwarzen Lackierung an die Autos aus dem ersten Teil des Paten. Im Fond, der bei manch Wohnmobil zum Schlafzimmer taugen würde, haben locker vier Herren mit Mänteln und Hüten Platz. Ich sitze als Beifahrer vorne, Seitenhalt: Null. Denn Tom hat gut zu tun, sein Schiff mit manueller Dreigang-Schaltung auf Kurs zu haben. Dazu passt der sonore, aber nicht aufdringliche Klang des Trumms unter der gefühlt meterlang aufragenden Motorhaube. Ihr Blech reicht locker für zwei Renault Twingo.
Eigentlich war Tom mit seiner Werkstatt nur für die Wartung zuständig, später ergab sich für ihn die Möglichkeit, den Wagen zu kaufen. Um ihn anschließend gründlich zu restaurieren. Zu viert schippern wir zurück zum Hotel, unzählige Blicke der anderen Verkehrsteilnehmer inklusive. Irgendwann muss Tom hupen. Es klingt fast wie ein Nebelhorn. Ist das die originale Hupe, frage ich. Zehn Dollar vom Teilemarkt, grinst Tom. Amerikanische Gelassenheit bei Fahrer und Auto.
Was bleibt neben unvergesslichen Eindrücken haften? Cadillac-Fans sind ein entspanntes Völkchen und interessieren sich durchaus auch für die aktuellen Modelle ihrer Marke. Eine Marke, die wie nur wenige ihre Zukunft auf eine traditionsreiche Vergangenheit stützen kann.