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Ford Tourneo Custom Plug-in-Hybrid (2020) im Test

Was taugt der Shuttle-Bus mit dem ungewöhnlichen Range-Extender-Konzept?

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München ist mitten im Vorweihnachtsstress, die Paketdienste arbeiten im Panikmodus. Ein Transporter mit Elektroantrieb wäre da nicht schlecht. Und wie soll der amerikanische Multimillionär samt Entourage vom Nobelhotel in der City zum Schwabinger Weihnachtsmarkt kommen? Doch bitte nicht mit einem Diesel-Shuttle. Ford hat für diese Fälle ein Angebot: den Transit Custom Plug-in Hybrid als urbanen Paketwagen und den Tourneo Custom Plug-in-Hybrid als umweltfreundliches Shuttle. Wir haben Letzteren getestet.

Um welche Autos geht es hier?

Das Modell Transit sagt wohl fast jedem etwas, doch um diesen großen Zweitonner geht es hier nicht. Die Custom-Modelle sind eine Nummer kleiner. Dabei ist der Tourneo Custom die Version für den Personentransport, der Transit Custom eignet sich eher für Lasten. Beide gibt es nun mit Plug-in-Hybrid-Antrieb.

Wieso Plug-in-Hybrid? In der Einleitung stand doch was von Elektroantrieb?

Beides ist richtig. Denn der Tourneo PHEV verfolgt ein Range-Extender-Konzept: Für den Antrieb sorgt ausschließlich ein Elektromotor an der Vorderachse. Der Strom dafür kommt aus einem Akku, der an der Steckdose aufgeladen wird und dann rund 50 Kilometer Reichweite ermöglicht.  Ist die Batterie leer, liefert der 1,0-Liter-Turbobenziner an Bord über einen Generator Strom nach. Anders als bei den allermeisten Plug-in-Hybriden kann der Benziner die Achse aber nicht direkt antreiben. Weil Verbrenner, Generator und Elektromotor in Reihe angeordnet sind, spricht man von einem seriellen Plug-in-Hybrid - im Gegensatz zu den üblichen parallelen Plug-in-Hybriden, von Audi, BMW oder Mercedes zum Beispiel.

Warum hat sich Ford denn für dieses Konzept entschieden?

Das habe ich den Elektroexperten von Ford auch gefragt. "Wir wollten die Technologie den Kunden so schnell wie möglich zur Verfügung stellen", sagt Thomas Zenner. Und das war mit dem kleinen Dreizylinder eben einfacher, ein größerer Motor hätte in den Custom nicht hineingepasst. Schließlich müssen ja auch noch Batterie und Leistungselektronik samt Kühlung reinpassen.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Also, sinnvollerweise lädt man das Auto zunächst an der Steckdose auf, genau wie bei einem normalen (parallelen) PHEV. Der Anschluss dafür ist an der linken vorderen Ecke. Der Typ-2-Anschluss verrät, dass man das Auto nur mit Wechselstrom aufladen kann, nicht mit Gleichstrom an der Schnellladesäule.

Wegen der kleineren Batterie tut man sich bei Plug-in-Hybriden mit dem Aufladen aber ohnehin leichter als bei Elektroautos. Sogar wenn man an der normalen Haushaltssteckdose lädt, dauert es nur 4,3 Stunden, den 13,6-kWh-Akku voll zu machen. Auch dreiphasiges Laden ist möglich, der Onboard-Lade schafft 3,6 kW; damit verkürzt sich die Ladedauer auf 2,7 Stunden.

Losgefahren wird dann mit dem gerade geladenen Strom. Und da kann man schon mal ein kleines Wunder erleben. Als ich mich auf meiner Testfahrt beim Ampelstopp auf der falschen Spur wiederfinde, versäge ich beim Kavalierstart lässig den Wagen neben mir. Mit leicht durchdrehenden Reifen. Aus dem Stand ist ein Elektromotor eben kaum zu schlagen, selbst wenn er einen fast fünf Meter langen und 2,6 Tonnen schweren Transporter herumwuchten muss. 355 Newtonmeter Systemdrehmoment bringt der PHEV-Antrieb, die Systemleistung liegt bei 126 PS.

Allerdings dauert es nicht allzu lange, da springt der Verbrenner an, was einem aufmerksamen Fahrer nicht entgeht. Ansonsten fährt sich das Auto wie ein paralleler PHEV. Interessanterweise arbeitet der Dreizylinder nämlich nicht wie der Motor einer Betonmischmaschine, sondern reagiert durchaus auf das Gaspedal. "Der Dreizylinder hat etliche gute Betriebspunkte, die wir dann drehzahlabhängig anfahren", sagt Zenner. Es sollen etwa zehn sein.

Kann man als Fahrer sonst noch was einstellen?

Ja, kann man. Erstens gibt es vier Hybridmodi. Mit einem Mode-Knopf rechts vom Lenkrad wird zwischen EV Auto, EV Jetzt, EV Später und EV Aufladen gewählt. EV Auto ist der effizienteste Modus, EV Jetzt deaktiviert den Verbrenner solange es der Ladestand erlaubt, EV Später (sonst oft als "Battery Save" bezeichnet) priorisiert das Fahren mit aktiviertem Verbrenner und EV Aufladen (übliche Bezeichnung: Battery Load) lässt den Verbrenner zusätzlich zum Fahrstrom noch mehr elektrische Energie erzeugen, um den Ladezustand zu erhöhen. Eigentlich braucht man all das aber nicht, am besten fährt man immer im EV-Auto-Modus. Den EV-Jetzt-Modus könnte man aber in Zukunft öfter brauchen; dann nämlich, wenn Städte verstärkt Umweltzonen für reine E-Fahrzeuge einrichten. Ab Frühjahr 2020 will Ford dafür eine Geofencing-Fähigkeit im Custom PHEV einführen. Das heißt: Wenn man in die Elektrozone einfährt (was über GPS festgestellt wird), wird automatisch auf EV Jetzt umgeschaltet.

Außerdem gibt es zwei Rekuperationsmodi: Bringt man den Automatik-Wählhebel wie gewohnt in die Stellung D, ist die Schubrekuperation (und die Bremswirkung beim Ausrollen) etwa so stark wie bei einem normalen Verbrennerauto. Daneben gibt es noch einen L-Modus, in dem stark rekuperiert wird. Damit lässt sich das Auto im Stop-and-Go-Verkehr fast ausschließlich mit dem Gaspedal fahren. Aber nur fast, denn um stehen zu bleiben, muss man dann doch bremsen, sonst kriecht das Auto weiter.

Eine Besonderheit bei der Rekuperation ist, dass sich der Wagen damit maximal auf 75 Prozent aufladen lässt. Der Grund ist, dass bei höheren Ladeständen die Rekuperation weniger effizient wird, so Elektroexperte Zenner.

Wie viel verbraucht der Wagen denn?

Tja, das hängt natürlich stark davon ab, wie oft man elektrisch fährt. Die elektrische Reichweite im WLTP-Zyklus liegt bei 40 Kilometer. Die Hotel-Shuttle-Fahrt des US-Millionärs zum Weihnachtsmarkt ist damit kein Problem. Will er dann zum Flughafen, der etwa 40 Kilometer entfernt liegt, wird spätestens auf der Rückfahrt der Verbrenner anspringen. Schneller als 120 km/h fährt der Custom PHEV aber sowieso nicht -- auf der Autobahn ein gravierender Nachteil, wenn man es mal eilig hat.

Auf meiner 55 Kilometer langen Teststrecke in und um München brauchten wir laut Bordcomputer 5,9 Liter Sprit je 100 Kilometer. Dabei war der Akku aber anfangs nur zu 75 Prozent voll und ich bin auch durchaus nicht energieeffizient gefahren, sondern habe zunächst den den starken Rekuperationsmodus in Kombination mit EV Aufladen benutzt. Die sparsamsten Kollegen haben die Strecke angeblich mit etwa 5 Liter/100 Kilometer bewältigt.

Ist der Plug-in-Hybrid denn sparsamer als ein Diesel?

Laut Ford-Elektroantriebs-Chef Zenner durchaus. Ein Benziner ist vor allem im Teillastbetrieb ineffizient, so der Experte. Aber bei einem Hybriden kann man den Lastpunkt ja verschieben: Der Verbrenner arbeitet dann bei höherer Last und damit effizient; er produziert dann einfach mehr Strom.

Wie ist das Auto sonst so und was kann man damit transportieren?

Das Cockpit wirkt durchaus Pkw-ähnlich. Man sitzt aber so hoch wie in einem richtigen LKW, spürbar höher sogar als in einem VW Multivan. Damit stellt sich schon ein gewisses Trucker-Feeling ein, man thront über dem Verkehr. Das Display in der Mitte zeigt ein gutes Kartenbild, die Sitzheizung macht auch Winterfahrten angenehm. Das Fahrwerk ist nicht viel ruppiger als bei einem Pkw, auch wenn ich damit nie und nimmer scharf in die Kurve fahren würde. Der Geräuschkomfort ist deutlich besser als beim großen Transit, der Motor fällt nie unangenehm auf. Aber als Fahrer hört man es schon mal irgendwo hinter sich im Gebälk knarzen.

Die Stärke des Custom sind natürlich die Transporteigenschaften. Beim Transit Custom PHEV bleibt der Laderaum mit seinem Volumen von sechs Kubikmetern unangetastet. Der gefahrene Tourneo Custom PHEV hatte hinten sechs noble Ledersitze in Konferenzstellung. Also durchaus etwas für den US-Millionär.

Der Preis fehlt noch.

Den Tourneo Custom PHEV gibt es ausschließlich in der noblen Ausstattung Titanium; damit kostet er dann 71.900 Euro. Zum Vergleich: Den gleichen Tourneo Custom L1 320 Bus gibt es mit dem 130-PS-Diesel (etwa gleiches Drehmoment) und Automatik in der Ausstattung Titanium für 50.182 Euro, das sind über 20.000 Euro weniger. Das ist dann doch ein übler Magenschwinger. Zumal die Ausstattung des PHEV-Version kaum abweicht. Beim PHEV ist das "Audiosystem 23" Serie, während es sonst 714 Euro Aufpreis kostet. Dafür sind die Aluräder hier einen Zoll kleiner als beim normalen Tourneo Custom (16 statt 17 Zoll). 

Auch der Transit Custom PHEV ist im Vergleich zu einem vergleichbaren Dieselmodell arg teuer. Der PHEV ist als Kastenwagen L1 340 ab 57.114 Euro erhältlich. Mit 130-PS-Diesel und Automatik gibt es das Auto schon für 33.380 Euro. 

Fazit: 7/10

Der Ford Tourneo Custom Plug-in Hybrid fährt sich durchaus ansprechend. Das geradezu sportliche Anfahren an der Ampel hat mich überrascht und beeindruckt. Für die Verwendung als Hotel-Shuttle oder Familientransporter ist das allerdings weniger wichtig. Hier wird sich eher das geringe Maximaltempo von 120 km/h bemerkbar machen, wenn es dann doch mal auf die Autobahn geht. Das Szenario "Transit Custom PHEV als urbaner Transporter für Weihnachtspakete" klingt da überzeugender. Denn Santa Claus ist mit seinem Schlitten sicher nicht schneller. Der hohe Preis wird ihn allerdings vom Umsteigen abhalten.

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