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Test Alfa Romeo Giulia (2019) mit "neuem" 190-PS-Diesel

Man muss die Giulia auch nach der Mini-Modellpflege lieben. Und würde ihr am liebsten eine auf den Deckel geben

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Oh, Neuigkeiten zur Giulia? Ich liebe dieses Auto.

Das werden wohl die meisten behaupten, aber das alleine bringt wenig. Da kann sie noch so schön sein oder sich mit selten gesehener Frivolität durch jedwede Kurve dribbeln - leicht hat es die arme Giulia wahrlich nicht. Als große Hoffnungsträgerin war sie vor nunmehr drei Jahren gestartet. Der Marke Alfa Romeo endlich wieder halbwegs passable Stückzahlen liefern. Sehr viel Geld hat man sich das kosten lassen, eine fahrdynamisch überragende Plattform entwickelt, eine Optik zum Niederknien gezeichnet. Und doch verkauft sich das Auto eher schleppend. Daran ist es selbst nicht ganz schuldlos (dazu später mehr), aber was soll man denn machen, wenn der Limousinen-Markt kaum noch was hergibt, weil die ganze Welt nur noch SUVs anschafft?

Circa 30.000 Giulias verkauft man pro Jahr weltweit. Das klingt isoliert gar nicht mal so verkehrt, allerdings gehen von einer Mercedes C-Klasse oder einem 3er BMW etwa 10- bis 15-mal so viele über den Ladentisch. Inklusive Kombi, versteht sich, aber den gibt es bei Alfa leider nicht. Ein größeres Facelift könnte helfen, die derzeit wohl schönste Mittelklasse-Limousine auch aus rationaler Sicht attraktiver zu machen, etwa durch die Ausrüstung mit fortschrittlicheren Assistenzsystemen oder einem konkurrenzfähigen Infotainment. Das Facelift dürfte noch ein bis zwei Jahre auf sich warten lassen, aber als kleines Trostpflaster spendieren uns die Italiener nun den neuen Modelljahrgang 2019. Eine Art Micro-Modellpflege mit neuen Ausstattungspaketen und etwas stärkeren Dieselmotoren.

Dann gehen wir mal ins Detail ...

Nun, wenig überraschend erfüllen jetzt alle bisher angebotenen Motoren die Euro 6d-Temp-Norm. Es bleibt bei zwei 2,0-Liter-Vierzylinder-Benzinern (200 und 280 PS), dem phänomenalen 2,9-Liter-Biturbo-V6 Quadrifoglio (510 PS) sowie drei 2,2-Liter-Vierzylinder-Dieseln mit nun 160, 190 und 210 PS. Alfa-Experten erkennen sofort: Die beiden schwächeren Selbstzünder haben nun 10 PS mehr als bisher. Sauber gehalten werden die Ölbrenner durch ein SCR-System mit 16,1 Liter großem AdBlue-Tank.

Der Rest der Giulia-Neuerungen bezieht sich im Prinzip auf die Neu-Bündelung von Ausstattungspaketen. Wer es mag, sich hoffnungslos in Preislisten und Ausstattungsübersichten zu verirren, wir die neue Modell-Strategie lieben. Statt vier gibt es nun nämlich ganze acht Trimm-Level. Neu sind "Business", "B-Tech", "Lusso" und "Veloce Ti". Letztere fungiert als Performance-orientierte Top-Ausstattung, serienmäßig mit mechanischem Sperrdifferenzial, 19-Zoll-Rädern, viel Carbon innen und außen sowie allen verfügbaren Komfort- und Technik-Features. Außerdem hat man das Sechsgang-Schaltgetriebe endgültig zu Grabe getragen. Alle Giulias kommen serienmäßig mit der wunderbaren ZF-8-Gang-Automatik.

Und wie fährt das Ganze?

Noch immer ganz hervorragend. Sogar mit Selbstzünder macht die Giulia reichlich Laune. Was nicht unbedingt am 2,2-Liter-Diesel selbst liegt. Seine 190 PS und 450 Nm schieben die 1.540 Kilo schwere Schönheit zwar erfreulich forsch nach vorne, machen dabei aber einen Rabatz als wären Sie gerade frisch von einer Landmaschinen-Messe entflohen. Ganz ehrlich, ich habe schon lange keinen so nageligen und hemdsärmelig rumpelnden Dieselmotor mehr vor mir gehabt. Und ich rede hier nicht von den ersten zwei Minuten nach Kaltstart. Das hier ist zu jeder Zeit deutlich vernehmbar. Auch beim eher harmlosen Zwischenspurt auf der Autobahn besteht nie ein Zweifel, nach welchem Prinzip der Haudegen im Motorraum arbeitet. 

Ein Trost sind der recht niedrige Verbrauch (laut Bordcomputer unter sieben Liter bei eher dringlicher Fahrweise) sowie die herrlichen Schaltvorgänge der Automatik. Dank der riesigen, Ferrari-esken Schaltpaddles ertappt man sich tatsächlich öfter beim Selberschalten. In einem Vierzylinder-Diesel!!!

Wer spürbar mehr Fahrfreude aus der Giulia herauswringen möchte - und offenbar sind das in Deutschland 70 Prozent der Kunden - sollte dennoch zu einem der Benziner greifen. Gerade die 280-PS-Maschine ist ein steter und überraschend hurtiger Quell der Freude. Ihre große Lunge und der charakterstarke, heisere Sound erinnern eher an einen sehr guten Sechszylinder.

Und Power wird man bereits nach kurzer Zeit in diesem Gefährt sehr zu schätzen wissen, denn das großartige Fahrwerk verträgt viel davon. Die Giulia ist einfach hinreißend agil, kompetent und unterhaltsam abgestimmt. Selbst drei Jahre nach ihrer Markteinführung gibt es wohl keine Normalversion einer Mittelklasse-Limousine (sprich: wir reden hier vom 320d und nicht vom M3), die einen am Steuer so emotional packt. Die ultraleichte, superdirekte Lenkung, die mega agile Vorderachse, dieses völlig spielerische Handling in Kurven. Und grandios gefedert ist das Ding ganz nebenbei auch noch. Für deutsche Verhältnisse fast schon ein bisschen weich. Wenn das gut gemacht ist, erhöht es aber nur die Beweglichkeit und genau so ist es hier passiert. 

Umso bedauerlicher, dass man das ESP (außer in der 510-PS-Variante Quadrifoglio) nicht deaktivieren kann, nicht mal ein wenig. Und die Stabilitätsregelung ist obendrein nicht sehr gut abgestimmt, haut in der Regel recht grobschlächtig dazwischen. Mir ist schon klar, dass sowas bei einem Firmendiesel keine Rolle spielt. Aber wer sich den 280-PS-Benziner als Veloce Ti mit Sperre und Co. holt, der will auch mal die Sau raus lassen. Gerne auf einem abgesperrten Kurs. Das Fahrwerk hat sowas locker im Kreuz, aber die ESP-Regelung macht vieles kaputt. Bitte nochmal drüber nachdenken, liebe Alfa-Entscheider. Und wenn ihr schon beim Grübeln seid, dann schaut euch gleich noch an, wie so die Luft um dieses Auto strömt, denn die Windgeräusche sind recht präsent.

Ist die Giulia noch eine gute Entscheidung?

Kommt sehr darauf an, was Sie von Ihrem Auto verlangen. Wenn Sie Kreisverkehre und Autobahnausfahrten grundsätzlich als nächste Chance sehen (Sie wissen, was ich meine), dann ist dieses Auto die Mittelklasse Ihrer Wahl. Neben der Fahrdynamik sind auch Sitzposition, Sitze, die gesamte Ergonomie genau auf den Punkt. Im Fond sitzt man nicht super luftig, aber in Ordnung und der Kofferraum ist mit 480 Liter auf der Höhe.

Sie müssen sich eben im Klaren sein, dass die Giulia bei Fahrhilfen und Infotainment nicht auf Augenhöhe mit der deutschen Premiumkonkurrenz agiert. Es gibt keinen Spurhalte- oder Stauassistenten, keine LED-Scheinwerfer und auch kein digitales Instrumentendisplay. Außerdem ist selbst das große 8,8-Zoll-Navisystem schlicht und ergreifend nicht gut. Etwas langsam, mit schlecht gemachter Kartendarstellung und einer Sprachsteuerung wie 2005. Da muss man abwarten, was das nächste größeres Facelift, vermutlich 2020, bringt.

Wenn Sie damit leben können, kriegen Sie hier nach wie vor die schönste Mittelklasse-Limousine mit dem spaßigsten Handling. Dabei empfiehlt sich die neue Ausstattungslinie B-Tech mit einem guten Mix aus aufwertenden Design-Details (Glanzschwarzer Lack für 18-Zöller, Grillumrahmung, Spiegel, Auspuff und Schriftzüge) und diversen Extras wie dem großen Navi, BiXenons mit Kurvenlicht oder einem adaptiven Tempomaten. 

Fazit: 7/10

+ hervorragende Fahrdynamik bei hohem Fahrkomfort; sehr gute Ergonomie; betörendes Aussehen; sehr gute Benziner

- kernige Diesel; Fahrhilfen nicht auf der Höhe; mieses Infotainment; ESP nicht abschaltbar

 

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