Der W12 ist weg, aber Bentley baut beim SUV nicht auf PHEV sondern auf reine V8-Power. Und auf Driftwinkel. Gewissensbisse? Bitte nicht
Bitte wundern sie sich nicht über des Wagners befremdliche Kopfbedeckung auf dem Startbild. Bentley ist derzeit komplett infiziert mit dem Yellowstone-Fieber (völlig zurecht übrigens! Wer ist es nicht?) und schickte uns zum Test seines aufgefrischten Portfolios kurzerhand nach Montana. Mit uns reiste eine stolze Menge an Cowboy-Hüten. Howdy!
Kevin Kostner oder Kelly Reilly (die ja in Staffel 5 Bentley Continental GT fährt) traf ich leider nicht. Aber mit dem neuen Bentayga Speed konnte ich letztlich auch ziemlich gut leben. Letzterer durchlief soeben eine stattliche Metamorphose vom zwölfzylindrigen Oberhaupt der druckvoll-majestätischen Fortbewegung hin zum "dynamischsten Bentayga aller Zeiten". Inklusive neuem V8-Motor und ESC-Dynamic-Mode, der unter anderem "beglückende Driftwinkel" im Repertoire hat.
Wie das 2,5-Tonnen-SUV auf vier Zylinder weniger und ein betont laszives Heck reagiert? Finden wir es heraus!
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Bentleys Erfolgs-SUV ist in seinem zehnten Produktionsjahr. Und auch wenn der Bentayga im letzten Jahr noch immer satte 41 Prozent der Gesamtverkäufe ausmachte, ist klar, dass sich was tun musste. Denn die Briten setzten 2024 deftige 21,5 Prozent weniger Fahrzeuge ab (10.640) als im Jahr davor.
Sicher ist die Markteinführung der vierten Continental GT-Generation Mitte 2024 daran nicht ganz unschuldig, denn viele dürften auf das neue Modell mit dem fast 800 PS starken Plug-in-Hybrid gewartet haben. Aber auch der Wegfall des legendären 6,0-Liter-Biturbo-W12 über alle Baureihen schlug wohl ins Kontor.
Sehr interessant in diesem Zusammenhang: Bentley-Pressechef Wayne Bruce verlautbarte, dass man vom Conti GT Speed mit dem neuen Plug-in-Hybrid-V8 in den ersten vier Monaten bereits mehr Exemplare verkaufen konnte, als vom W12 Speed in seinem besten ganzen Jahr.
Der PHEV scheint in luftigen Leistungs- und Kaufpreis-Höhen also blendend zu funktionieren. Weshalb es auf den ersten Blick ein wenig überrascht, dass er im Bentayga Speed NICHT zum Einsatz kommt. Allerdings wird auch ziemlich schnell klar, warum dem so ist. Bentley will seinem stärksten Bentayga mehr Performance-Lust einhauchen. Da strauchelte er ja immer so ein bisschen gegenüber der Konkurrenz von Lamborghini, Aston Martin und Porsche.
Jetzt ist der Bentayga aber an sich schon ein ziemlich bleischweres Konstrukt. Da ist so ein V8-Hybridstrang nicht unbedingt vorteilhaft, wenn es agiler ums Eck gehen soll. Grob 200 Kilo hätte man aufschlagen müssen, sagt Director of Vehicle Motion Dr. Markus Thiel. Zu den 2.466 Kilo, die das Auto ohnehin schon wiegt.
Die Konsequenz: Man entschied sich für die umfangreiche Aufbrezelung des hauseigenen, gänzlich unelektrifizierten V8 mit vier Liter Hubraum und zwei Turbos. Gegenüber den "Brot-und-Butter"-Bentaygas (Entschuldigung, es bot sich gerade so schön an), wo die Maschine mit 550 PS und 770 Nm läuft, setzt man hier auf größere Turbos, eine niedrigere Verdichtung, um dem erhöhten Ladedruck Herr zu werden und größere Einspritzdüsen. Zudem erlaubt man früheres Anliegen des Ladedrucks, um ein besseres Ansprechen zu gewährleisten.
Das Ergebnis sind 650 PS (15 PS mehr als beim W12) und 850 Nm (50 Nm weniger als beim W12). Auch weil das Auto gute 100 Kilo leichter ist als der bisherige Zwölfzylinder-Speed ergibt das bessere Fahrleistungen. Der Sprint von 0-100 km/h gelingt nun in 3,6 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei leicht besorgniserregenden 310 km/h (W12: 3,9 Sekunden und 306 km/h).
Der 2025er Speed ist aber nicht nur schneller, er soll auch mehr Lust auf Agilität haben. Und auf Unsinn. Eine Hinterachslenkung ist nun Serie. Genau wie die für den Speed optimierte 48-Volt-Wankstabilisierung. Dazu kommen schnellere Gangwechsel und ein wacheres Gaspedal.
Die Modi "Bentley" und "Comfort" werden vom V8 S übernommen. Aber vor allem im neu kalibrierten Fahrmodus "Sport" soll die Physik nun noch stärker überlistet werden als bisher. Dafür stellt man die Dämpfer um 15 Prozent straffer und wenn Sie sich für die monströse Carbon-Keramikbremse entscheiden (mit 440-mm-Scheiben vorne einmal mehr der größte Anker aller Zeiten in einem Erzeugnis aus Crewe), erhalten Sie obendrein ein neues Spielzeug namens "ESC Dynamic" mit Brake Torque Vectoring.
Selbiges soll den Hintern des Luxus-Gleiters ordentlich zum Tanzen bringen. Man verspricht uns erfrischend unsubtil "berauschende Driftwinkel oder Power-on-Übersteuern" (also Übersteuern per Gaspedaleinsatz).
Auch eine Launch Control ist Teil des neuen Pakets. Und ja, Sie haben gerade richtig gelesen: Driftwinkel und Launch Control in einem 5,14 Meter langen Bentley-SUV. Heidewitzka!
Los geht's ab 268.800 Euro. Wobei es dabei aber kaum bleiben dürfte. Wer sich motiviert mit den schier unendlichen Individualisierungsoptionen - ganz ohne Witz, es gibt 46 Milliarden Konfigurationsmöglichkeiten - auseinandersetzt, wird am Ende locker die 350.000 Euro-Marke knacken. Zum Vergleich: Der Aston Martin DBX707 kostet ab 250.000 Euro, der Lamborghini Urus SE mit 800-PS-Hybrid ist ab gut 260.000 Euro zu haben.
Der Speed bemüht sich optisch nicht wirklich um Zurückhaltung. Sie erkennen sein extrovertiertes Wesen an diversen Anbauteilen (Frontspoiler, Seitenschweller, Heckdiffusor, größerer Dachspoiler in Wagenfarbe oder Carbon), den in sechs Farben erhältlichen Pinstripes auf selbigen, schwarzen Zierelementen oder sehr farbenfrohen Bremssätteln. Zudem quetscht Bentley das erste Mal in seiner illustren Geschichte 23-Zoll-Räder unter eines seiner Fahrzeuge. Serie sind allerdings 22-Zöller.
Ein schwarz eingefärbtes Dach ist ebenfalls eine Option. Die silbrig-grauen Rückleuchten sind es leider nicht. Es gab wahrlich schon elegantere Lampen an einem Bentley.
Es gibt diverse gute Gründe einen Bentley zu erwerben: man ist in aller Regel sehr schnell und gleichzeitig sehr komfortabel unterwegs, es gilt das ungeschriebene Gesetz, dass man überall parken darf wie ein Arsch und man bekommt immer einen Tisch im Restaurant. Aber seien wir ehrlich: Hauptsächlich will man doch eigentlich nur jeden Tag in dieses wunderbare Interieur ein- und dann nie wieder aussteigen.
Beim neuen Bentayga Speed ist es nicht anders. Wo immer mehr deutsche Premiummarken sich qualitativ inzwischen bis auf die Knochen blamieren, lässt Bentley weiter nichts anbrennen. Dass die letzte große Überarbeitung fünf Jahre her ist, könnte kaum egaler sein. Ganz im Gegenteil ist es eine wahre Wohltat, dass Klasse, Stil, Handwerkskunst und ernsthafte Qualität hier noch nicht durch den inzwischen üblichen Bildschirm-Overkill und Versimpelungs-Irrsinn ausgelöscht wurden.
Man hat ja trotzdem alles, was man im Jahr 2025 so braucht. Ein sehr elegantes, gut ablesbares Instrumentendisplay, ein Head-up-Display, induktives Smartphone-Laden, Apple CarPlay/Android Auto, diverse Buchsen für alle möglichen Devices, Cupholder, eine vernünftige Sprachsteuerung und eine sehr befriedigende Anzahl an physischen Tasten und Reglern.
All das eingebettet in eine Umgebung, deren Materialmix, Verarbeitungsqualität, Detailliebe und Geschmackssicherheit (ganz egal, wie sehr man im Konfigurator durchdreht, versauen kann man diesen Innenraum eigentlich nicht) einem die Tränen der Freude in die Augen treiben. Wenn Sie sich fragen, warum der dümmlich vielzitierte "Audi Q7 mit anderen Logos" so abartig teuer ist, dann setzen Sie sich einfach mal rein.
Apropos: das Gestühl ist ein traumhafter Mix aus Alcantara, Leder und einer speziell für den Speed entworfenen Diamant-Steppung im Schulterbereich. Zu exzellenter Langstreckentauglichkeit gesellt sich eine Sitzposition, die eher gute Übersicht als extremen Sportsgeist fördert. Aber wer sitzen will, wie in einem 911 GT3, der kauft auch keinen Bentayga.
Unter diesem Absatz sehen Sie Bilder sowohl des Fonds mit klassischer 5-Sitzer-Konfiguration als auch die Edel-Variante mit zwei Einzelsitzen für 12.066 Euro. Das Platzangebot in Reihe Zwei ist beim Viersitzer mit seiner mächtigen Mittelkonsole großzügig, aber nicht verschwenderisch. Für die ultimative Dekadenz bräuchte es ohnehin den Bentayga EWB mit langem Radstand und Airline-Liegesitz. EWB und Speed schließen sich aber nachvollziehbarerweise aus.
Natürlich ist auch im stärksten und teuersten Bentayga Luft für Kritik. Die Anzeigen auf dem zentralen Touchscreen sehen noch immer ein bisschen aus wie bei Audi im Jahr 2010. Außerdem ist es eben ein Touchscreen - ein Dreh-Drück-Steller zur Bedienung wäre überaus hilfreich. Zudem kommen die Schaltpaddles aber mal direkt aus dem Audi-Regal und was bei Audi schon nicht schön ist, ist es bei Bentley erst recht nicht.
Und wie macht er sich nun, der .. räusper .. "kastrierte" Speed? Nun, was unweigerlich als erstes auffällt, ist sicher der Klang, der dem Fahrzeug in reichlich brachialer Manier entfleucht. Bereits beim Anlassen sind das allerstärkste Muscle-Car-Vibes - ein tiefes, lautes, derbes Grollen. Bentley verspricht: alles echt hier, keine Lautsprecher.
Im Sportmodus ist das dann alles auch weiterhin sehr sehr kernig. Inklusiver äußerst intensiver Rappappappapp-Spratzer beim Gaslupfen. Diese sogenannten "Crackles" muss man sicher nicht mögen, auch wenn hier wieder gilt: Nix davon ist künstlich, jeder Spratzer ist unique. In dieser Ausprägung ist das vielleicht dennoch ein bisschen viel des Guten in einem Bentley. Allerdings ist in den übrigen Fahrmodi dahingehend auch wieder Ruhe. Also alles gut, vor allem weil der gloriose Achtzylinder-Sound beim Durchbeschleunigen Modus-unabhängig sämtliche Gänsehäute aktiviert.
Dazu sei gesagt: Wir reden hier von der optionalen Akrapovic-Titanabgasanlage (spart 12,5 Kilo Gewicht, kostet 9.211 Euro), die beim getesteten US-Bentayga obendrein frei von jeglichen Otto-Partikelfilter-Zwängen war. Bei uns daheim dürfte der Speed also etwas gesitteter tönen.
Der Motor selbst steht, wie nicht anders zu erwarten, fantastisch im Futter, pumpt bis etwa 2.500 - 3.000 Touren den Bizeps auf und haut dann richtig zu. Nach oben raus gefühlt immer wuchtiger und sehr druckvoll bis Drehzahlende. Er ist gewiss das sportlichere, spontanere, aufgekratztere Aggregat, wenngleich er nicht die Grandezza, die unendliche Weite und das Gefühl grenzenloser Reserven des W12 besitzt.
Dafür verbraucht er offensichtlich deutlich weniger, wobei: Lassen Sie sich von unseren 11,1 Liter Testverbrauch nicht irritieren. Die passierten lediglich, weil es den Großteil der Strecke mit 120 bis 140 km/h geradeaus ging.
Passend zum aggressiveren Charakter des Fahrzeugs zeigen sich dann auch die Schaltvorgänge der 8-Gang-Box. Zumindest im Sport-Modus, wo das Getriebe recht kompromisslos austeilt. Beim Hochschalten unter Zug tut es da schon jedes Mal einen ordentlichen Rüttler. Inklusive passendem akustischem Rumms. Doch auch hier gilt: Drehen Sie das Rädchen auf der Mittelkonsole zurück in den "Bentley"- oder "Comfort"-Modus und die Automatik verwandelt sich in einen Wattebausch. Einen sehr schnellen Wattebausch, wohlgemerkt.
Und was ist mit der versprochenen Steigerung der Spielfreude samt kolossalem Drift-Vergnügen? Weil man das in den unendlichen Weiten (und Geraden) Montanas nur bedingt herausfinden kann, präparierte Bentley eine Art Rally-Stage auf einer der 28.000 Ranches, die es in Montana gibt. Und ja, das bedeutet, dass ich einen mehr als 350.000 Euro teuren Luxus-Dampfer über staubige und sehr steinige Feldwege brettern durfte.
Das Auto hatte hier durchaus Lust, mir seine neu erworbenen Torque-Vectoring-Fähigkeiten deutlich vor den Latz zu knallen. Im neuen ESP-Dynamic-Modus dreht das Auto beim Einlenken auf der Bremse oder einem Gaslupfer schon stark spürbar das Heck mit ein, was sehr agil und lebendig wirkt. Mit etwas mehr Tempo geht's dann auch gerne in den Slide, was natürlich irre (die Betonung liegt hier auf irre) viel Spaß macht. Jetzt dürften selbst unter Bentley-Fahrern nur die wenigsten über einen eigenen, 20 Kilometer langen Feldweg verfügen, wo man so einen Blödsinn gefahrenlos vollführen kann.
Aber liebe Freunde der Edel-SUV-Fahrdynamik: Auch auf profanem Asphalt (ein paar nette Kurven fand ich dann doch noch) merkt man die neu gewonnene Lust des bisher durchgeknalltesten Bentayga. Die Lenkung ist ein Fest und zwar nicht nur für ein SUV, sie ist ein Fest. Punkt. Zudem wirkt das Auto in "Sport" verglichen mit dem Bentayga V8 S, den ich kürzlich fuhr tatsächlich verbindlicher und mit weniger Speck um die Körpermitte. Bein- und Bauchmuskel-Training durch die straffere Fahrwerksauslegung also erfolgreich.
Vor allem, weil der Komfort darunter nicht leidet. Ich weiß, es klingt abgedroschen, aber hier ist es nun mal so. Die Federung benimmt sich wie eh und je sehr feinfühlig, in diesem Fall nicht wirklich weich und bauchig, da kommt schon was rüber, aber stressig wird es natürlich nie. Das gilt für alle Fahrmodi, alle Straßenbeläge und selbst mit den 23-Zöllern.
Der W12 ist tot, lang lebe der V8? Nun, das kann man so und so sehen. Denn der neue Bentayga Speed tauscht mit dem Motor auch spürbar seine Gesinnung. Weg vom souveränen "Über den Dingen stehen" hin zu einem expressiveren, lauteren, fahrerisch fesselnderen Auftritt.
Er ist auch jetzt sicher nicht das ultimative Performance-SUV, aber er ist schon merklich dynamischer unterwegs, ohne dass seine vielen anderen Talente dadurch eingeschränkt würden. Bei Fahrverhalten, Qualität und Ambiente ist der Bentayga auch im gehobenen Alter verdammt weit vorne. Wer das (zweifelsohne horrend große) Preisschild kritisiert, hat nicht verstanden, was er damit alles erwirbt.