Auch wenn viel es nicht gerne hören: Darum ist der neue Plug-in-Hybrid der beste Conti GT, den es je gab
Letztes Jahr hat Bentley beschlossen, dem Continental GT alle reinen Verbrenner - inklusive des majestätischen 6,0-Liter-W12 - zu klauen und auf Elektrifizierung zu setzen. Das Ganze mit einem richtig großen Knall und 782 PS aus einem 4,0-Liter-Biturbo-V8-Plug-in-Hybrid. Die Rezeption war durch die Bank relativ überwältigend. Jetzt schiebt man die - naja - "Einstiegsversion" nach. Ebenfalls mit V8-PHEV.
Selbige hat mit 680 PS noch immer 31 Pferde mehr unter der Haube als der stärkste Zwölfzylinder im Vorgänger und sollte doch eigentlich völlig ausreichen, wenn man - ganz der typische Bentley-Käufer - ein paar Taler sparen möchte, oder?
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Auch beim vermeintlich besten Grand Tourer auf diesem Erdball haben Sie nun die Qual der Wahl. Bentley erweitert das Portfolio beim Continental GT und GT Cabriolet um eine neue Basismotorisierung (was irgendwie absurd klingt bei 680 PS und 930 Nm) und ordnet das Lineup des Porsche 911 Turbo-Konkurrenten neu an. Vereinfacht ausgedrückt präsentiert es sich nun wie folgt:
Schnelle DatenBentley Continental GT (2025)MotorBiturbo-V8 + E-Motor; 3.996 ccmGetriebe8-Gang-AutomatikAntriebAllradantriebSystemleistung500 kW (680 PS)max. Drehmoment930 Nm0-100 km/h3,7 SekundenHöchstgeschwindigkeit270 km/hVerbrauchWLTP: 4,1 LiterGrundpreisab 268.800 Euro
Bentley spricht beim seit Mitte 2024 erhältlichen Conti GT von der vierten Generation, aber im Prinzip handelt es sich hier um ein großes Facelift des seit 2018 angebotenen Modells. Ein sehr großes Facelift eigentlich, denn 68 Prozent der Teile sind neu. Inklusive einer komplett neuen elektronischen Architektur.
Außerdem reden wir hier sicher vom fahrdynamisch anspruchsvollsten Continental GT aller Zeiten. Ich weiß, das tun wir bei jedem neuen Conti GT, aber der Aufwand und die Ausstattung, die in diesem Fall eingeflossen sind, sind allemal bemerkenswert. Alle GTs erhalten serienmäßig Allradlenkung, ein elektronisches Hinterachs-Sperrdifferenzial sowie die neu entwickelten Zweiventil-Dämpfer.
Anders als beim Speed, der ja mehr auf sportliches Handling ausgelegt ist, fehlen bei den 680-PS-Varianten ab Werk die aktive Wankstabilisierung und das Torque Vectoring.
Gleich ist dagegen die Kombination aus einem 4,0-Liter-Biturbo-V8, einem 190-PS-Elektromotor und einer 25,9-kWh-Batterie, die sich im Heck des Coupés breit macht. Das sorgt für ein monumentales Fahrzeuggewicht von 2.459 Kilogramm. Das sind knapp 200 Kilo mehr als der alte W12 Speed wog, dessen letzten Test Sie hier lesen können. Allerdings sorgt es auch für eine nahezu perfekte Gewichtsverteilung von 49:51 Prozent. Und seien wir ehrlich: Der Conti GT war noch nie für seine besonders leichten Knochen bekannt - wenn ein Auto einen bleischweren Plug-in-Hybrid-Antrieb stemmen kann, dann er.
Der komplette Antriebsstrang wurde übrigens in Zusammenarbeit mit Porsche entwickelt, was ganz grundsätzlich nur gut sein kann. Der Unterschied zum Topmodell mit 782 PS (dem stärksten Bentley aller Zeiten) ergibt sich vollständig aus der Drosselung des V8, der statt 600 PS und 800 Nm hier "nur noch" 519 PS und 770 Nm in die Waagschale wirft.
Für Fahrleistungen, die Angst und Schrecken verbreiten (vor allem im Angesicht des Fahrzeuggewichts) reicht es dennoch: Die 0-100 km/h werden in 3,7 Sekunden geknackt, die 0-160 km/h in 7,6 Sekunden. Zum Vergleich: der Conti GT Speed braucht 3,2 und 6,9 Sekunden. Etwas seltsam hingegen: Der Speed macht seinem Namen alle Ehre und feuert weiter bis auf 335 km/h, dem GT und GT Azure wird schon bei 270 km/h der Stecker gezogen.
Neu für einen Bentley-PHEV (davor gab es ja nur den nicht so ganz standesgemäßen V6-Plug-in-Hybrid im Bentayga) ist die Möglichkeit, die Batterie auch während der Fahrt zu laden. Immerhin hier passiert dann also eine Art Schnelladen, denn ansonsten erlaubt das System maximal AC-Laden mit bis zu 11 kW. Damit soll der Akku dann in 2:50 Stunden wieder voll sein. Die elektrische Reichweite geben die Briten mit bis zu 80 Kilometer an.
Die beiden Conti GT-Versionen mit dem 680-PS-Hybrid sind bereits bestellbar. Die Preise starten bei
Die größte optische Neuerung bei Generation Vier erzeugte gleich sowas wie einen mittelschweren Schockmoment, denn hier sehen wir zum allerersten Mal einen Continental GT ohne Vier-Augen Gesicht. Geschadet hat ihm die Augen-OP wahrlich nicht. Der leicht verwegene Lidstrich verleiht Frische und zusätzliche Breitenbetonung. Auch am Heck hat man das Auto ein wenig modernisiert, aber im Großen und Ganzen muss man wirklich nicht zweimal hinschauen, um zu erkennen, was hier vor einem steht.
Um zu erkennen, ob ein GT Azure vor Ihnen steht, sollten Sie am besten darauf achten, wie viel Chrom das Auto mit sich rum trägt. Viel Chrom = Azure. Dazu gibt es Meschgitter in der Frontstoßstange, Glanzschwarz an Grill, Frontsplitter und Diffusor sowie reichlich elegante 22-Zoll-Räder. Wie das alles wirkt, sehen Sie unter diesem Absatz an meinem Testwagen im Farbton Light Windsor Blue.
AbmessungenBentley Continental GT (2025)Länge x Breite x Höhe4,895 x 1.966 x 1.397 mmRadstand2.851 mmGewicht2.459 kgZuladung461 kgKofferraumvolumen260 LiterWendekreis11,3 m
So arg viel ist mit dem Modellwechsel im Intimbereich des Autos nicht passiert, aber was soll man hier drin auch großartig ändern? Wer einen Conti GT besteigt, entert eine andere Welt. Eine umwerfend schön, luxuriös und qualitativ überragend gestaltete Kommandozentrale, die die Sinne fast ein wenig überfordert vor lauter "Wow".
Auch wenn Bentley kaufmännisch und technisch mit dem Volkswagen-Konzern eng verbandelt ist und man sich die Plattformen mit dessen Premium-Derivaten teilt - es ist das Interieur, wo man sich noch immer in aller Deutlichkeit absetzt und wo ein großer Teil der Bentley-Magie passiert. Wie geschmackvoll und sorgfältig all die Leder, Hölzer, Metalle und Wolle hier zusammengesetzt werden, das findet man derzeit nirgendwo anders.
Den Azure, der innen noch mehr angibt als das Basismodell, erkennen Sie am neuen 3D-Diamantform-Leder in den Türen. Die weißen Flächen, gerade mit dem Pinstriping auf der Mittelkonsole sind wahrlich eine Schau. Darf man übrigens auch ordern, wenn das bevorzugte Kleidungsstück der Wahl kein blaues Sakko mit Goldknöpfen ist.
Kleiner Tipp: Der Alcantara-ähnliche Dinamica-Stoff wäre meine Wahl gegenüber Nappa-Leder, weil man angenehmer darauf sitzt und er in Kurven mehr Halt gibt. Die Sitze selbst bieten eine perfekte Sitzposition, umschmeicheln einen förmlich und sind rundherum eine helle Freude.
Mit der neuen Elektronik-Architektur halten auch eher nerdige Features Einzug in den Continental GT, etwa eine Aktivierung der Umluft, wenn man einen Tunnel befährt oder eine Ampel-Erkennung. Wer's braucht. Auf der anderen Seite muss man den adaptiven Tempomat in einem Paket mit dem Head-up-Display und der Nachtsicht-Funktion ordern.
Ein weiteres empfehlenswertes Extra, auch wenn es nur für die Show ist, ist das rotierende Display (gerne auch als Toblerone verniedlicht) für 6.330 Euro. Auf Knopfdruck verschwindet der Infotainment-Bildschirm und macht Platz für klassische Rundinstrumente, die sich perfekt ins Armaturenbrett einpassen. Weniger Ablenkung, mehr Alte-Schule-Luxus.
Fühlt sich bis zur Rückenlehne der Vordersitze alles in diesem Auto an, wie das Paradies, wird es dahinter ratzfatz weniger glorreich. Man fragt sich immer wieder, wie auf einer Länge von gut 4,90 Meter so wenig Platz für den Fond übrig bleiben kann. Wobei der Einstieg deutlich mühsamer ist als das eigentliche Sitzen in Reihe Zwei. Dennoch eignet sich der Conti GT doch maximal als Dreisitzer und das auch nur, wenn der Beifahrer sehr weit nach vorne rutscht.
Ein ganz ähnliches Dilemma droht beim Blick in den Kofferraum. So gut der neue Hybrid zum Charakter des Autos passt (dazu kommen wir gleich), so dramatisch wirkt er sich auf das Volumen des Kofferraums aus. Selbiges fällt von 358 auf nur noch 260 Liter. Im Cabrio sind es gar nur 134. Der Platz geht hauptsächlich in der Tiefe verloren, Sie müssen sich also nicht mehr so weit nach vorne beugen. Toll ist es trotzdem nicht.
Selbst die schwächere Variante des neuen Plug-in-Hybrid-V8 ist ein gutes Stück kräftiger als die stärkste Ausbaustufe des alten W12. Den konnte man ja durchaus mal vermissen, wenn man im alten V8 ohne E-Unterstützung saß. Einfach weil er kultivierter, würdevoller und mächtiger war als der Achtzylinder, der dafür mehr Charisma, Sound und spontanere Reaktionen auf Gasbefehle in die Waagschale warf.
Nun - und es fällt mir nicht leicht, das zu sagen - stellt sich die Glaubensfrage eigentlich kaum noch. Und das liegt nicht daran, dass Sie den Zwölfzylinder eh nicht mehr kriegen, sondern dass der neue Hybrid-V8 so gut ist. Das akustische Donnerwetter mit all dem Grollen und Prappappapp (alles echt übrigens, Bentley weigert sich weiterhin strikt, künstlich beim Sound nachzuhelfen) ist weiterhin vorhanden. Dazu kommen nun aber das schiere Drehmoment und die unwahrscheinlich ansatzlose, geschliffene Kraftentfaltung, die das Erlebnis auf ein anderes Level heben.
190 PS Elektro-Unterstützung klingen nicht so arg überwältigend, wenn man ein Gesamtgewicht von nahezu 2,5 Tonnen bedenkt, aber der Effekt ist mehr als deutlich zu spüren. Schon bevor der V8 mit voller Wucht einkickt, gibt es extrem spontanen Vortrieb. Man muss wahrlich keine hohen Drehzahlen nutzen, um zügig voranzukommen.
Am beeindruckendsten ist aber das Zusammenspiel der beiden Maschinen - die Reibungslosigkeit und (klingt blöd, ist aber so) Leichtigkeit der Kraftentfaltung definieren zu großen Teilen das Fahrgefühl. Dazu kommt: Bei niedrigen Drehzahlen zeigt sich der Antrieb extrem smooth, ab der Mitte des Drehzahlbandes hat er dann aber den erwünschten dicken Punch.
Rein elektrisches Fahren ist natürlich ebenfalls möglich. Das Ganze passiert flotter und leichtfüßiger als man erwarten würde. In der Stadt kommt man damit wunderbar durch. Per Modus-Knopf auf der Mittelkonsole geht's los.
Und es steht dem Conti natürlich auch, leise und elegant vor sich hin zu cruisen. Diese Disziplin beherrscht er nach wie vor in Perfektion. Einfach vom Sport- in den Bentley- oder Comfort-Modus schalten und man merkt umgehend, wie das Auto sich entspannt, im Einklang mit der Straße in sanften Bewegungen fließt, einen förmlich einlullt. In puncto Langstrecken-Komfort gibt es keinen Gran Turismo, der mit dem Conti GT mithalten kann. Aber klar: Ein 911 Turbo, ein Aston Martin DB12 oder Ferrari Roma haben dafür natürlich immense Vorteile beim Handling und generell bei der Sportlichkeit.
Wobei man mit Fug und Recht behaupten kann, dass es noch keinen Continental GT gab, der besser um eine Kurve fuhr als dieser. Wie gesagt: Leicht war die Fuhre schon vorher nicht. Dass Sie nun auf der Waage in der XL-SUV-Liga angekommen ist, fällt also im wahrsten Sinne nicht wirklich ins Gewicht.
Zu verdanken ist das der verbesserten Gewichtsverteilung sowie der Hinterradlenkung. Das Thema Untersteuern hat man trotz des Mehrgewichts gegenüber dem Vorgänger deutlich optimiert. Gerade im Sport-Modus ist fühlbar, dass nun mehr Kraft an die Hinterachse wandert, wodurch sich das Auto ebenfalls agiler und involvierender anfühlt als bisher. Außerdem ist die Lenkung inzwischen eine richtig runde Sache.
Natürlich werden Sie irgendwann das Gewicht merken. Wenn Sie sehr schnell in eine enge Kurve fahren wollen oder beim starken Bremsen. Er ist nun mal kein reinrassiger Sportler, der tänzelt und Ihnen vor lauter Kurvengier die Gänsehaut auf alle Gliedmaßen zaubert. Aber man kann ihn besser denn je zügig fahren und dabei mehr Spaß aus ihm herausquetschen als zuvor. Ein sehr sattes, befriedigendes, breit gefächertes Fahrerlebnis.
Man muss den Continental GT ja irgendwie einfach lieben, oder? Die Opulenz trieft ihm aus allen Poren und er ist auf so vielen Ebenen einfach sehr, sehr besonders. Zu seinen großen Stärken zählen weiterhin das unfassbare Interieur und der kaum zu schlagende Langstreckenkomfort. Schön ist natürlich, dass das englische Schwergewicht in seiner neuesten Iteration bei der Fahrdynamik zugelegt hat.
Das Wichtigste ist aber: Selbst erklärte Gegner des Plug-in-Hybrids werden nach einer Fahrt in diesem Auto wohl zugeben müssen, dass es hier einfach passt. Auch in der kleineren Ausbaustufe mit "nur" 680 PS haben sich da zwei gesucht und gefunden.
Dass der Kofferraum recht stark unter der Elektrifizierung des Autos leidet, ist ziemlich bedauerlich, aber sicher kein Einzelfall. Außerdem ist unverständlich, warum die 782-PS-Variante 335 km/h schafft, das Geschwisterlein mit lediglich 102 PS weniger aber nur 270 km/h (vor allem, weil bereits der alte V8 mit 550 PS 318 km/h erreicht).
Objektiv gesehen ist der V8-PHEV auch in der neuen Einstiegsvariante dem alten W12 überlegen. Insgesamt bietet der überarbeitete Continental GT zudem mehr Breite in seinen Fähigkeiten als bisher und zeigt sich in der besten Form seiner inzwischen 22-jährigen Laufbahn.