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Porsche 911 Turbo (2021) im Test: Die schlauere Alternative zum Turbo S?

Perfektion plus Schalk im Nacken - irgendwie haben Sie's geschafft

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Was ist das?

Jetzt seien wir doch mal ehrlich: Auch wenn der Porsche 911 Turbo unter all den flamboyanten Supercars emotional immer ein wenig untergeht, ist er am Ende doch der Sportwagen, mit dem man tagtäglich am liebsten zusammenleben möchte. 

Er warpt ja mehr als das er beschleunigt, kombiniert seine völlig absurde Geschwindigkeit aber mit diesem unvergleichbaren Fels-in-der-Brandung-Handling. Und all das langweilige Zeug wie Zuverlässigkeit und Alltagstauglichkeit kann er auch. Der nahezu perfekte Daily Driver, der ganz nebenbei mit jedem Tritt aufs Gas ein Loch ins Raum-Zeit-Kontinuum reißt. Es geht wahrlich schlimmer.

Das Problem ist nur: Selbst am vermeintlich Perfekten geht der Fortschritt nicht spurlos vorüber. Die Entwicklung schreitet rasend schnell (im wahrsten Sinne) voran. Es gibt immer noch mehr Power, noch verrücktere Kurvengeschwindigkeiten, noch mehr Status - der Kunde will es, der Kunde kriegt es. 

Nun könnte man dem Vorgänger 991 Turbo, wenn man auf ganz hohem Niveau jammert, vorwerfen, dass er fahrdynamisch eher unverwüstlich als wirklich aufregend abgestimmt war. Zumindest für den Normalo-Fahrer, der nicht mit 150 in die Kurve fahren will, um das Biest in den Drift zu zwingen.

Außerdem war er, so dumm das klingt, mit 540 (beziehungsweise 580 PS im Turbo S) nicht mehr soooo kräftig. Wenn die Konkurrenz immer wildere PS-Zahlen in den Ring wirft, muss halt auch Porsche irgendwann nachziehen, wenn man das Interesse der verwöhnten Klientel nicht verlieren will.

Genau das ist nun passiert. Zuerst schockte Porsche mit dem 992 Turbo S und all seinen 650 PS/800 Nm. Jetzt zieht man mit der deutlich günstigeren Basis-Variante nach. Der 992 Turbo bringt es auf 580 PS und 750 Nm, das sind 40 PS und 40 Nm mehr als beim Vorgänger. 

Was ist sonst noch neu?

Interessanter ist vermutlich, wo eigentlich die Unterschiede zum gut 32.000 Euro teureren Turbo S liegen. Die sind nämlich - abgesehen von dessen zugegebenermaßen stattlicher Mehrleistung - nicht besonders groß.

Neben der allmächtigen, aber im Alltag nicht wirklich vorteilhaften Carbon-Keramikbremse fehlen dem Turbo serienmäßig die Wankstabilsierung PDCC, das Matrixlicht sowie die Zentralverschluss-Räder. Genau meine Meinung, ziemlich verschmerzbar, wenn man sich dadurch einen ganzen Hyundai i30 N spart. 

Merkt man denn Unterschiede beim Fahren?

Ich vermute, wenn man nicht direkt hintereinander abwechselnd drei Launch-Control-Starts von 0-200 km/h im Turbo und Turbo S vollführt, könnte es schwierig werden mit dem Herausfühlen gravierender Differenzen. 

Von 0-100 nimmt der S dem Nicht-S eine Zehntel ab (2,7 zu 2,8 Sekunden). Bis 200 sind es dann immerhin 0,8 Sekunden. Aber ob sie jetzt in 9,7 oder 8,9 Sekunden auf doppeltes Landstraßentempo morphen, macht in der Magen-und-Gesichtsdeformationsskala wohl kaum einen Unterschied.

Glauben Sie mir, auch der normale Turbo ist schnell genug. Selbst wenn Sie die erbarmungslosen Speed-Maschinen von McLaren oder von mir aus auch einen Porsche Taycan gewohnt sind, ist es immer wieder erschütternd (im Positiven), was dieser 992 Turbo längsdynamisch anstellt, sobald die beiden Lader die Lungen voll haben. 

Will sagen: So ein schönes, traditionelles Turboloch ist auch hier nicht ganz von der Hand zu weisen. Im Vergleich zum Vorgänger sind Turbinen- und Verdichterrad der Lader um 5 und 3 mm gewachsen. Durch die verbesserte, nun gespiegelte Abgasführung und die zentrale Positionierung der Ladeluftkühlung konnte dennoch eine leichte Verbesserung des Ansprechverhaltens erzielt werden. 

Womöglich könnten Sie im direkten Vergleich auch feststellen, dass der Turbo etwas schneller reagiert als der Turbo S mit seinen noch größeren Turboschaufeln. Insgesamt lässt sich attestieren: Bis knapp unter 3.000 Touren wird Luft geholt, dann rauscht einem der sprichwörtliche D-Zug ins Heck. Wobei es hier gefühlt eher vier bis sechs davon sind. 

Zudem klingt das Ganze in der neuesten Iteration auch deutlich anständiger als zuletzt. Zumindest mit der optionalen Sportabgasanlage ist das so. Der 991 war ja eher so die Marke zorniger Föhn. Jetzt gibt es etwas mehr Timbre und Körper. Dazu hört man die Turbos richtig schön zischen. 

Absolut beeindruckend ist auch, wie kriminell gierig der Turbo bei höheren Drehzahlen am Gas hängt. Diese Schärfe kombiniert mit der nahezu unerschöpflichen Wucht des Antriebs sorgt gerade auf der Rennstrecke - wo viele Turbos entgegen der landläufigen Meinung durchaus häufiger ran müssen - ein ums andere Mal für ungläubige Grins-Attacken.

Und ganz nebenbei natürlich für absurde Rundenzeiten. Da muss sich so ein GT3 RS inzwischen ganz ganz lang machen. Und womöglich reicht dann noch nicht einmal das. 

Aber mit dem GT3 RS wird man viel mehr Spaß haben, oder?

Naja, der GT3 RS wird immer der Filigrantechniker bleiben. Dessen völlig kompromisslosen und beinahe übernatürlichen Output an Agilität, Drehzahl, Sound, Glückshormonen und Rückenschmerzen kann und will der Turbo natürlich nicht erreichen. 

Er hockt lieber in seinem Chefsessel, lässt mit einem kurzen Bizeps-Zucker das Sakko platzen und haut dann irgendwohin, wo anschließend garantiert kein Gras mehr wächst. Wobei man dem Neuen mit dieser arg plakativen Umschreibung ehrlich gesagt auch nicht mehr so wirklich gerecht wird. 

Denn obwohl er mal wieder knapp 50 Kilo schwerer geworden ist, hat er nicht nur Muckis und Breite aufgebaut (vorne 45 mm, hinten 20 mm; mit 1,90 Meter nun der breiteste Elfer aller Zeiten), sondern auch an Handling-Qualitäten und Beweglichkeit gewonnen. Und das ist für mich die wirklich große Schlagzeile beim neuen Turbo.

Offenbar lässt das Chassis des 992 mehr Spieltrieb zu, ohne an der völligen Geborgenheit, die das Turbo-Setup vermittelt, zu rütteln. Mein Testwagen hatte das neue, aufpreispflichtige und laut Porsche  "deutlich dynamischere" PASM-Sportfahrwerk an Bord. Es kommt mit 10 mm Tieferlegung und zusätzlichen Helperfedern an der Hinterachse. Die bewirken, dass die normalen Federn auch bei Maximalbelastung ihre ursprüngliche Spannung beibehalten, was die Kontrollierbarkeit des Fahrzeugs erhöht. 

"Voll aufgeladen in die Kurve, kurz das Gas gelupft und hinten passiert plötzlich was. Selbst unter Last kann man das Heck ein wenig zum Rutschen bewegen."

Ganz generell verfügt der neue Turbo über deutlich mehr Spur, 42 mm vorne und 10 mm hinten. Er steht auf 20 und 21 Zoll großen Rädern und kommt ab Werk mit Hinterachslenkung sowie einer fürchterlich großen Grauguss-Bremse, deren Scheiben vorne 408 und hinten 380 mm messen. Selbst diverse Runden auf dem als erbarmungsloser Materialmörder bekannten GP-Kurs des Hockenheimrings konnten dem Stahl-Anker nichts anhaben. Überlegen Sie also gut, ob Sie fast fünfstellig in eine Keramik-Bremse investieren wollen.

Auch an der zweistufigen, aktiven Aerodynamik hat man mit dem Wechsel aufs neue Modell nochmal Hand angelegt. Es gibt geregelte Kühlluftklappen, einen größeren Frontspoiler sowie einen deutlich massiveren Heckflügel. Beide begeben sich in "Sport Plus" automatisch in den Maximum-Attack-Modus, können aber auch individuell angesteuert werden. Der maximale Gesamtabtrieb steigt dadurch auf 170 Kilo. Das sind 15 Prozent mehr als bisher.  

Jetzt gibt es also mehr Kontrolle und Tamtam?

So kann man das durchaus sagen, ja. Ein bisschen ist den nimmermüden Entwicklern in Zuffenhausen tatsächlich die Quadratur des Kreises gelungen. Denn die wie bisher unerschütterliche, extrem gutmütige Allradler-Gesinnung wurde um eine zusätzliche, erfreulich aufregende Schicht ergänzt. 

Der Turbo wirkt jetzt - vor allem in den Modi Sport und Sport Plus - beweglicher, lebendiger, nicht mehr gar so bierernst. Voll aufgeladen in die Kurve, kurz das Gas gelupft und hinten passiert plötzlich was. Selbst unter Last kann man das Heck ein wenig zum Rutschen bewegen. Alles super sicher und immer noch sauschnell, nur lustiger irgendwie. Kurz am Lenkrad korrigiert, drauf auf den Pinsel, ein Lächeln huscht übers Gesicht und der Chef-Elfer schießt wieder unerbittlich gen Horizont. Ein großer Spaß.  

Weitere Auffälligkeiten auf der Rennstrecke: Der Turbo lenkt für ein Auto seines Gewichts sehr schnell und direkt ein. Er hat irre viel Körperspannung und untersteuert eigentlich gar nicht mehr. Das alles ist gegenüber dem Vorgänger definitiv besser geworden. Außerdem fühlt sich die Lenkung auch hier wieder einen Tick gefühlvoller an. Immer wieder beeindruckend, wie weit Porsche in diesem Bereich der Konkurrenz voraus ist. 

Und im Alltag?

Das Problem beim Turbo ist ja, dass du nie länger als drei Sekunden aufs Gas kannst. Eins .. zwei .. drei - oh, 148, Führerschein weg. Also Temperament zügeln und checken, wie das hier drin alles so sitzt und passt. Zu meckern gibt es im Prinzip nicht viel, außer dass er kurze Stöße und Unebenheiten recht straff nach innen weiterleitet. Ach ja, und der kleine Automatik-Schaltknubbel sieht nach wie vor so fürchterlich Fehl am Platz aus. 

Ansonsten ist das Cockpit aber einfach eine Schönheit. Besser und unkitschiger kannst du ein klassisches Interieur eigentlich nicht in die Moderne bringen. Zwei Kleinigkeiten stören trotzdem - das Lenkrad verdeckt große Teile der äußeren Anzeigen und die Cupholder sind etwas klein.   

Fazit: 9/10

Etwa 75 Prozent der Kunden entscheiden sich für den wesentlich teureren Turbo S. Das dürfte in erster Linie Status-Gründe haben (was so ein "S" auf dem Heckdeckel nicht alles ausmacht ...). Naja und wer um die 200.000 Euro für ein Auto ausgibt, wird vermutlich nicht soo sehr aufs Geld schauen müssen. 

Manchmal wäre das aber vielleicht gar nicht so dumm, denn der neue Porsche 911 Turbo (ohne S) bietet von allem so viel, dass ich nicht wüsste, warum man eine derart große Menge Extra-Cash für das Spitzenmodell ausgeben sollte. 

Für beide 992 Turbos gilt, dass Porsche hier einen selbst für Porsche außergewöhnlich guten Job gemacht hat. Diese Generation ist - so schwer das scheinen mag - ein gutes Stück besser als die vorherigen. Sie hat neben allem Speed und der Verbissenheit und der Unerschütterlichkeit und der Alltagsgüte ein Mojo, einen Charme, wie es das so ausgeprägt beim Turbo bisher nicht gab. 

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