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Porsche 911 Carrera S Cabriolet (2019) im Test: Neun-Neun-Sky

Der offene Elfer ist nichts für Puristen

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Wissen Sie, was ein Spielverderber ist? Ein unnachgiebiger Purist zu sein. So sehr auf dem hohen Ross sitzend, dass man sich nie dazu herablassen würde, ein Cabrio zu fahren.

Wissen Sie, was kein Spielverderber ist? Der Tumult von Wind, Lärm und Geschwindigkeit, wenn man einen Porsche 911 Carrera S Cabriolet ausreizt. Die Freude, sich dessen sinnlicher Seite hinzugeben und jene Schwarzmaler und Langweiler auszuschließen, die darauf bestehen, dass der einzige echte 911 ein Coupé ist. Vergiss sie, denn diesen Unsinn kannst du nicht hören, wenn du dem Klang des Sechszylinder-Boxer und den Wind bei Tempo 190 lauschst.

Erlauben Sie uns also, Sie zu ermutigen, die zweite Art von Person zu sein: die Spaßperson. Die Art von Elfer-Enthusiasten, die das neue 911 Carrera S Cabriolet in Betracht ziehen würden. (Inklusive der Möglichkeit, mal eben die 134.405 Euro für besagten Kraftwagen flüssig zu haben.)

Der 992-Elfer kommt langsam auf die Straße. Der Verkauf der achten Fahrzeuggeneration beginnt im Frühjahr mit den Coupés Carrera S und 4S, gefolgt von den Cabrioversionen etwas später, wobei Coupé und Cabriolet natürlich eng miteinander verbunden sind. Zeit für einen Fahrbericht aus dem offenen 911. Ist er die bessere Wahl?

Fakt ist: Der neue 911 ist auch als Cabriolet größer geworden. Die Überhänge sind länger, die Vorderseite ist sowohl bei den S- als auch bei den 4S-Modellen breiter geworden, und der S bekommt ein Heck, das so breit ist wie das des 4S. Der Radstand ist unverändert. Man fährt auf unterschiedlich großen Reifen, mit 21-Zoll-Rädern im Heck und 20-Zoll-Rädern vorne. Genauer gesagt: 245/35 ZR 20 und 305/30 ZR 21. Wie man sieht, sind die Reifen an der hinteren Antriebsachse deutlich breiter als die der Vorderräder. Daraus resultieren eine bei beiden Modellen 46 Millimeter breitere Spur vorn sowie beim 911 Carrera S eine um 39 Millimeter breitere Spurweite hinten. 

Reine Geschmackssache ist die Partie über dem Motor: Die einen finden sie arg bucklig, die anderen fühlen sich an den 911 Speedster erinnert. Das krasse Grün auf den Fotos heißt übrigens "Lizardgrün" und kostet die Kleinigkeit von 2.713 Euro extra.

Der Innenraum wurde komplett überarbeitet, mit zwei digitalen Bildschirmen, die in einer sauberen Linie über das Armaturenbrett verteilt sind und die Innenräume der viel älteren 911er widerspiegeln - vor dem Erscheinen all dieser Touchscreens. Es gibt auch eine Reihe neuer Technologien wie den adaptiven Geschwindigkeitsregler und den Spurhalte- und Bremsassistenten. Du weißt schon, die Art von Zeug, das man in luxuriösen, erwachsenen Autos findet. Dazu gehören auch der Umstand, das die Technik so ausgelegt sind, um Elektromotoren für eine spätere Teil- oder Vollstromausführung des 911 leichter aufnehmen können.

Um noch ein wenig Neid zu schüren, lassen Sie uns erwähnen, dass wir sowohl das S als auch das 4S Cabriolet außerhalb von Athen gefahren sind, wo der Himmel blau war und das Ägäische Meer in der Ferne glitzerte. Wie viele Porsche 911 in Griechenland verkauft werden, lassen wir einmal dahingestellt.

​Reine Geschmackssache ist die Partie über dem Motor: Die einen finden sie arg bucklig, die anderen fühlen sich an den 911 Speedster erinnert.

​Bei geschlossenem Dach ist es im Cockpit ruhig, die Dachlinie bietet viel Kopffreiheit. Die Heckscheibe ist aus Glas, und der Geräuschpegel im Inneren ist fast so niedrig wie bei einem Hardtop. Aber lassen Sie uns die Stoffmütze versenken, was nur rund 12 Sekunden dauert. Sie können das Dach öffnen oder schließen, wenn Sie mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 km/h fahren und außerdem einen elektrischen Windabweiser aktivieren.

Windgeräusche? Nun für eine starke Brise ist in einem 911 immer gesorgt. Nach kräftigem Tritt aufs Gaspedal jagt das S-Modell mit dem Sport-Chrono-Package in 3,5 Sekunden auf 100 km/h. Währendessen flutscht das neue 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe nur so durch die Gänge, bis man schnell über gesetzlichen Tempolimits liegt.

Aber keine Panik, für immense Bremskraft wird gesorgt: Sechskolben-Aluminium-Monobloc-Festsattelbremsen vorn, Vierkolben-Aluminium-Monobloc-Festsattelbremsen hinten; dazu innenbelüftete Scheiben in den Formaten 350 x 34 mm vorne und 350 x 28 mm hinten. Als Option ist die rundstreckenerprobte Porsche Ceramic Composite Brake (PCCB) weiterhin für alle 911-Modelle erhältlich. 

Der 3,0-Liter-Sechszylinder-Boxer hat im 992 größere Turbolader bekommen, genug für 450 PS und 530 Newtonmeter Drehmoment im S und 4S. Leider klingt die Maschine nicht so gut wie die frühen Saugmotoren, aber bei offener Fahrt ist die Tonlage nicht unangenehm.

Porsche hat sein aktives Fahrwerk, genannt Porsche Active Suspension Management (PASM) für den 992 mit neuen adaptiven Dämpfern an jedem Rad aktualisiert, ein System, das bei einem Cabriolet besonders willkommen ist. Es ermöglicht, viel sanfter über schlechten Asphalt zu fahren - von dem wir in Griechenland viel gefunden haben. Die Autos sind bequem beim Cruisen, und straffen sich, wenn man "Sport" aktiviert.

Diesmal bietet das Unternehmen auch ein PASM-Sportfahrwerk an, das das Fahrwerk viel aggressiver abstimmt. Zudem bietet es eine Tieferlegung um zehn Millimeter. Da wir gerade beim Thema sind: Das optional erhältliche elektrohydraulische Liftsystem ermöglicht die Anhebung der Vorderachse um rund 40 Millimeter. Durch die Vergrößerung des Böschungswinkels und der Bodenfreiheit an der Vorderachse erleichtert das System beispielsweise die Einfahrt in Garagen und Parkhäuser.

Die optionale Hinterradlenkung unterstützt ein schärferes Einlenken. Die Lenkung ist insgesamt hervorragend und noch direkter geworden (11 Prozent direkter, sagt Porsche), aber die "Allrad"-Lösung ist nochmal agiler und schneller. Sie sollten unbedingt die Hinterachslenkung bestellen, dann einen Schritt weiter gehen und zur Porsche Dynamic Chassis Control (PDCC) greifen, das adaptive Stabilisatoren hinzufügt. So ausgestattet wird der 911 zum Supersportwagen. Da es beide Komponenten nur zusammen gibt, werden 5.462 Euro fällig. Aber bei längerer Beschäftigung mit dem Porsche-Konfigurator sind das schon fast Peanuts.

Die Lenkung ist insgesamt hervorragend und noch direkter geworden.

Seltsamerweise haben wir am besten sowohl die Altagstauglichkeit des neuen 911 Cabriolet als auch seine Agilität nicht auf Bergstraßen, sondern im Wahnsinn des Stadtverkehrs erlebt. Die griechischen Fahrer haben eine alarmierende Tendenz, direkt vor dir auszuscheren, während sie dich gezielt nicht ansehen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Bremsen oder Blechschaden. Anders formuliert: Sie müssen mit einer Verzögerung von einer Nanosekunde durch enge Räume huschen. Mit einem 1,85 Meter breiten Auto.

Der Porsche tanzte flink durch diese automobilen Blockaden und drehte sich durch Kreisverkehre mit undefinierbaren Verkehrsführungen. Unser Kopf war ständig in Bewegung, aber die Fähigkeit des 992, abrupt zu bremsen oder explosionsartig vorwärts zu fahren, machte den Verkehr nicht nur erträglich, sondern auch lustig. Und man will doch, dass ein Cabriolet im Verkehr Spaß macht, oder?

Hey, nicht falsch verstehen. Wir lieben Porsche-Sportwagen (und einen Basis-911 mit manueller Schaltung). Aber wenn Sie Ihren 911 jeden Tag fahren würden, wäre es nicht schön, wenn Sie dabei an der frischen Luft wären? Wenn du diese Art von Fahrer bist, diese Art von Spaßsucher, dann passt du nicht so gut zum neuen 911 Cabriolet. Sondern perfekt.

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