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Audi S6 und S6 Avant TDI im Test

V8 raus, Performance-Diesel plus e-Lader rein. Geht die Vernunft-Ehe wirklich ins Herz?

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Was ist das?

Für viele S6-Fans in erster Linie sicher mal ein riesiger Schock. Audis großer Sportler mit der Extra-Portion Understatement hat eine ziemlich beeindruckende Historie bezüglich ziemlich großer und ziemlich charismatischer Motoren: Über die Generationen ging es vom V8-Sauger (bis zu 340 PS) über den Hochdrehzahl-V10-Sauger (435 PS) bis hin zum zuletzt 450 PS starken Biturbo-V8. Jetzt gibt es … naja … einen .. ähm .. V6-Diesel. Und als ob dessen Selbstzünderei noch nicht schlimm genug wäre, leistet er sich den unter teutonischen Performance-Vehikeln wohl einmaligen Vorgang, dass er 100 PS weniger anbietet als sein Vorgänger. Herr im Audi-Himmel hilf! mag da der benzingurgelnde Enthusiast verzweifelt in den Äther plärren, aber so unkonventionell die Antriebsstrang-Entscheidung beim neuen S6 (und S7 und SQ5 und S4 und S5) aus dynamischer Sicht auch erscheinen mag, in Ingolstadt hat man ein paar sehr gute Gründe dafür.

Welche Gründe?

Nun, der neue 3,0-Liter-V6-TDI inklusive elektrischem Verdichter und 48-Volt-Bordnetz steht mit 349 PS und 700 Nm nicht nur recht stattlich im Saft, er ist technisch auch so ausgerüstet, dass er selbst bei den kommenden, immer strenger werden Abgasnormen nicht untergeht. Außerdem - glauben Sie mir - kriegen Sie einen 350-PS-Diesel, der im echten Leben 7-8 Liter verbraucht, wesentlich besser unter die Leute als einen sicher deutlich emotionaleren Achtzylinder-Benziner, den aber kein Mensch realistisch unter 12 Liter bewegt. Wir reden hier schließlich immer noch über ein Geschäfts-/Reise-/Familienauto und keinen Supersportwagen. Beispiele gefällig? Zum Ende seiner Laufzeit war der erste SQ5 mit seinem bis zu 340 PS starken TDI (völlig zurecht) der mit Abstand meistverkaufte Q5 in Deutschland. Und in der letzten A6-Generation schlug der A6 TDI Competition (326 PS) den S6 bei den Zulassungszahlen windelweich. Audis Entscheidung für den ersten S6 mit Dieselmotor mag für die Vollgas-Fraktion also vielleicht enttäuschend sein, aus unternehmerischer Sicht macht sie aber absolut Sinn. Und wer einen Hardcore-A6 mit V8-Benziner will, kann ja etwas später immer noch zum neuen RS 6 greifen.

Es würde sicher helfen, wenn der neue Super-TDI ein bisschen Spaß macht. Tut er das?

Es ist mit Sicherheit nicht das gewohnte S6-Erlebnis, aber der TDI hat durchaus seine Momente. Als Basis dient Audis bekannter 3,0-Liter-V6-TDI mit 286 PS. Selbiger fiel im Test des normalen A6 nicht unbedingt durch akute Großartigkeit auf. Etwas barsch im Umgang und mit dem Häuptling aller Turbolöcher gesegnet. Aufgrund der Änderungen hinsichtlich der Euro 6d-Temp-Norm sind die Abgaswege hier einfach sehr lang. Im neuen S6-Aggregat sorgt ein elektrisch angetriebener Verdichter (EAV) für spürbare Linderung. Er sitzt zwischen Ladeluftkühler und Motor und wird von einem 48-Volt-Mildhybrid-System gespeist. Dieses wiederum setzt sich aus einem 7-kW-Riemen-Startergenerator und einer 10-kWh-Lithium-Ionen-Batterie zusammen. Der EAV drückt mit bis zu 2,4 bar, hat eine Reaktionszeit von 250 Millisekunden, dreht bis zu 70.000 U/min und schmeißt sich dort in die Schlacht, wo der herkömmliche Abgasturbolader nix kann: beim Anfahren und niedertourigen Beschleunigen. Aufgrund dessen konnte man im S6 auch einen größeren Turbolader verbauen. Desweiteren kriegt der TDI Optimierungen bei Kurbelwelle, Kolben, Zylinderkopf, Einspritzung und Ölpumpe. Drückt man das Gas für 1,3 Sekunden durch, liegen laut Audi ohne EAV knapp über 400 Nm Drehmoment an. Mit EAV sind es 620. 

Audi S6 Limousine TDI im Test

All diese wohlklingenden Zahlen bringen aber rein gar nichts, wenn es auf der Straße nicht vernünftig klickt. Glücklicherweise tut es das im Großen und Ganzen. Von einem Turboloch kann keine Rede mehr sein. Wenn der S6 beim Kickdown eine klitzekleine Gedenksekunde einlegt, dann liegt es eher an der 8-Gang-Automatik. Selbige ist und bleibt ein sehr angenehmes, flottes Getriebe, qualifiziert sich aber auch hier nicht wirklich als Supersportler. Etwas gewöhnungsbedürftig wirkt der kleine Hüpfer in der Leistungsentfaltung, so knapp unter 2.000 Touren, also dann, wenn der e-Lader seinen Dienst einstellt. Ansonsten glänzt dieser Diesel allerdings mit absolut bärigem Schub und sehr amtlichem Vortrieb. Die Zahlen auf dem Tacho werden wirklich sehr schnell größer. 0-100 km/h passieren in 5,1 Sekunden, bei 250 km/h wird elektronisch abgeregelt. Hier kommt ein absolutes Elastizitätstier, dass gerade für Autobahn-Vielfahrer eine helle Freude sein dürfte. 

Selbst beim ambitionierten Angasen auf der Landstraße (also dort, wo sich dieses Auto konstruktionsbedingt am Wohlsten fühlt *Ironie aus*) sorgt der von Audi als "Performance-Diesel" titulierte Antrieb aus schierer Wucht für den ein oder anderen herzhaften Schmunzler. Allerdings kann er beim Ansprechverhalten natürlich nicht ganz mit einem sportlichen Benziner mithalten. Außerdem kommt die Drehzahlgrenze von 5.000 Touren halt doch immer verflucht schnell heran gerauscht und man ertappt sich oft dabei, wie man denkt: "Mensch, so 2.000 Touren mehr wären jetzt echt nicht schlecht."

Ein Wort noch zum Klang, der mindestens als kurios zu bezeichnen ist. In den normalen Fahrmodi ist noch alles gut. Dort wird der ungeliebte Landmaschinen-Vibe vom Soundgenerator in ein angenehm sonores, unaufdringliches Digital-Gemenge verwandelt. Befördert man den Drive-Select-Schalter jedoch in "Dynamic", erklingt ein boshaft waberndes V8-Beben als würde gerade eine Horde wütender Dodge Challenger Hellcats durch den Auspuff springen. Und das dank Lautsprecher im hinteren Radkasten übrigens auch von außen sehr gut vernehmbar. Selbst wenn es gut gemeint ist, kommt hier für einen Sechszylinder-Diesel vielleicht doch ein wenig arg viel zusammen. Noch dazu, wenn man bedenkt, dass die vier fetten "Auspuffendrohre" komplette Attrappen sind. 

Also eher der Kilometerfresser als eine echte Gänsehaut-Maschine?

Nun, das waren S6 und S6 Avant ja schon immer irgendwie. Mehr die schnellen, souveränen Gleiter als die volle Abteilung Attacke. Mit der neuen, deutlich Vernunft-orientierteren Auslegung der Autos hat sich das wohl noch ein wenig verstärkt. Auch dieser S6 fühlt sich definitiv nicht aggressiv oder extrem kurvenhungrig an. Was nicht bedeutet, dass er dieses Metier nicht beherrscht. Er klebt wirklich beeindruckend stark auf der Straße, lässt sich seine Neutralität selbst durch blödsinnigste Fahrmanöver und - wie in meinem Fall - eine sehr nasse Strasse nicht streitig machen. Vermutlich hatte auch das aufpreispflichtige Sportdifferenzial an der Hinterachse seinen Anteil, aber wie verlustfrei der Wagen selbst bei Regen aus der Kurve feuert, ist schon stark.

Die Lenkung hat nicht besonders viel Gefühl, ist eher leichtgängig, aber sehr präzise. Die mehr als zwei Tonnen Gewicht merkt man vor allem auf der kräftig zubeißenden und sehr standhaft wirkenden Bremse (mit ihren monströsen 400mm-Scheiben vorne). Ansonsten fährt der S6, gerade mit der optionalen Allradlenkung, sehr akkurat, reduziert die Bewegungen seiner ausladenden Karosserie auf ein Minimum. Es ist ein sehr schnörkelloses, klinisches, etwas digitales Fahrverhalten. Ein M-Performance-BMW 5er fühlt sich natürlicher an. Nichtsdestotrotz ist das hier ein überaus schnelles, sicheres und fähiges Fahrzeug.

Ein wenig Probleme hatte ich mit dem serienmäßigen Adaptiv-Stahlfahrwerk. Es ist 20 mm tiefer als im normalen A6 und hat eigene, spürbar straffere Kennlinien für Federn und Dämpfer. Insgesamt federt es recht trocken, wirkt etwas verbissen. Gerade im Dynamic-Modus erkauft es sich seine Fahrdynamik durch ein gewisses Schraubstock-Gefühl. Welchen Anteil die monumentalen 21-Zöller des Testwagens hatten, war auf dieser Fahrt nicht herauszufinden. Womöglich sollten Sie aber auch einfach mal die serienmäßigen 20-Zoll-Räder ausprobieren.

Vielleicht ist das nur meine verschrobene Meinung, aber das optionale und spürbar komfortorientierte Luftfahrwerk scheint mir hier die passendere Wahl zu sein. Der S6 wird damit weicher, aber harmonischer, darf sich mehr bewegen, fühlt sich spielerischer an, ohne spürbar an Kurvendynamik einzubüßen. 

Soll ich ihn kaufen? 

Das ist bei diesem Auto mehr als sonst eine Frage der Erwartungshaltung. Wenn Sie ein Fan der bisherigen S6-Modelle waren, könnten Sie enttäuscht werden. Es ist schon wirklich etwas anderes. Wenn Sie aber, und ich vermute, so wird es der großen Mehrheit der Kunden gehen, ein sportlich angehauchtes, sparsames, langstreckentaugliches (1.000 km Reichweite) und absolut perfekt entwickeltes Statussymbol mit ordentlich Bumms suchen, dann sind Sie hier wohl richtiger denn je. Business-Sportler 2.0 sozusagen. 

Wesen und Agilität des neuen S6 und S6 Avant werden Ihnen nicht permanent die Nackenhaare aufstellen, dafür ist das Fahrverhalten zu steril, dafür ist der Motor trotz Monster-Drehmoment (und fürchterlich künstlichem Muscle-Car-Sound) noch immer zu sehr Diesel. Aber all das ist ja bei einem BMW M550d auch nicht wirklich anders. 

Nichtsdestotrotz hat der S6 genug Talent und Haftung in den Beinen, um auf einer kurvigen Strecke sehr schnell zu sein. Dazu kommen der letzte Hightech-Schrei in Sachen Assistenten und Infotainment sowie ein unfassbar hochwertiger Innenraum mit viel Beinfreiheit hinten und nicht ganz so viel Volumen ganz hinten (565 bis 1.680 Liter). Der Rest wird bestimmt von einem Power-zu-Verbrauch-Verhältnis, wie es vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Den technisch anspruchsvollen V6-TDI inklusive e-Turbo in den neuen S6 zu stopfen, war vielleicht nicht die emotionalste Entscheidung, aber aus unternehmerischer Sicht sicher die schlaueste.

Fazit: 7/10

+ technisch anspruchsvoller, sehr wuchtiger Diesel; geringer Verbauch; extrem traktionsstarkes, neutrales Fahrverhalten; sehr hochwertiger, hervorragend verarbeiteter Innenraum

- Performance-Einbußen und weniger Emotionalität gegenüber dem Vorgänger; eher sterile Abstimmung; 

 

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