Ein neuer Carrera S, ein Tag Nordschleife, ein Profi-Coach und ein Ziel: unter 8 Minuten!
Wenn du einen kompletten Tag Trackzeit in der Grünen Hölle angeboten bekommst, dann denkst du nicht lange nach. Auch wenn du von einem Autohersteller eingeladen wirst, der vermutlich will, dass du irgendetwas sehr Nettes über sein Produkt schreibst, das er dir für deine unbeholfenen Ring-Versuche freundlicherweise zur Verfügung stellt. Allerdings meinen es die Götter gut mit meinem Seelenfrieden, denn die Email mit der Einladung hat xxx@porsche.com in der Kopfzeile und über Autos von Porsche kann man nur Gutes zu Papier bringen. Zumindest solange sie nicht irgendwann auf die Idee kommen, einen Vierzylinder-Hybrid-Elfer auf den Markt zu werfen. Aber wahrscheinlich würde sogar der vernünftig funktionieren.
Nordschleifen-Perfektionstraining also. Das trifft sich gerade ganz hervorragend, weil ein guter Freund von mir vor ein paar Wochen die schlaue Eingebung hatte, einen abgeranzten, leergeräumten Fiesta ST zu kaufen und damit Rennen zu fahren. RCN, also hauptsächlich auf der Nordschleife. Zusammen mit mir. Obwohl er weiß, wie ich fahre. Ein mutiger Mann. Der mich nun ganz schön in die Bredouille bringt. Ich habe hier zwar eine Handvoll Runden auf dem Kerbholz, aber das ist eine Weile her. Und auf meiner XBox liegt meterdick der Staub. Virtueller Nordschleifen-Fame ist also ebenfalls Fehlanzeige.
Glücklicherweise stellt mir die Zuffenhausener Presseabteilung genau das richtige Auto zur Verfügung, um mich auf meine ruhmreiche Karriere in einem fronttrieblernden, handgeschalteten 200-PS-Kleinwagen ohne einen Hauch von Innenausstattung einzustellen. Genau, es handelt sich um eines der roten Autos in der erschöpfend umfangreichen Bildergalerie, die diesem Bericht angehängt wurde. Einen 992 Carrera S, um genau zu sein. Er ist 450 PS stark, hinterradgetrieben, absolut nicht handgeschaltet. Und er verfügt über eine Innenausstattung. Eine sehr luxuriöse obendrein. Außerdem sind seine Reifen (wie der ganze Karren) gefühlt doppelt so breit wie die des Fiesta. Er hat Hinterradlenkung und adaptive Dämpfer und Wankstabilisierung und Sensoren in den Radkästen, die das ESP wachsamer machen, wenn es regnet. Größer, schwerer und wohliger war noch kein 911 und das finden viele Experten und Fans nicht besonders gut. Meiner Meinung nach haben sie in weiten Teilen Unrecht, aber dazu gleich mehr.
Zuerst einmal brauche ich ein Ziel für diesen Tag in der Eifel, das mich anspornt, ohne mich (oder den schönen roten Carrera) umzubringen. Mein Auto hat die berühmtesten 20,8 Kilometer der Welt offiziell in 7:25 Minuten gewuppt. Mit einem professionellen Rennfahrer am Steuer, versteht sich. Allerdings wurde dabei auch die komplette Strecke gefahren. Wir fahren nur Bridge to Gantry, lassen also den Großteil der Döttinger Höhe aus, das spart sicher nochmal 20 Sekunden. Demnach sollte eine Zeit unter acht Minuten durchaus drin sein.
Leider kollidieren meine Klickbaiting-affinen Wünsche (ich sehe die Sub-8-Minuten-Überschrift genau vor mir) ziemlich stark mit den Vorstellungen meines Coaches Timo Kluck. Timo ist Formel 3 gefahren, hat so ziemlich alles, was Räder besitzt, schon mal um den Ring gescheucht und ist aktuell in Porsches Reifenentwicklung tätig. Er war auch am Ring-Rekord des 918 beteiligt. Ganz beiläufig erzählt er: Der Marc Lieb ist ja die 6:57 gefahren, ich eine 7:00. Das hat mich tierisch gewurmt, weil mehr drin war. Aha, der Mann weiß, was er tut. Außerdem ist er ein absoluter Pfundskerl, wie man sie nicht mehr oft findet. Ehrlich, bescheiden und mit einem riesigen Schalk im Nacken. Bei allem Klamauk ist er aber auch deutlich weiser als meine zeitenversessene Wenigkeit. Hier geht es heute nicht um Zeiten, du sollst sauber fahren und Schritt für Schritt steigern. Der Rest kommt von alleine.
Ich kenne den Ring inzwischen ganz okay, zu steigern gibt es trotzdem noch jede Menge, also ab dafür. Unglücklicherweise sind heute nicht nur wir hier, sondern auch das jährliche Fahrertraining einer nicht unbekannten Stuttgarter Sportwagen-Zeitschrift. Angesprochene Döttinger Höhe quillt über vor Performance. Wenn Sie sich fragen, wer eigentlich diese ganzen sündteuren Supersportler kauft - hier sind die Menschen. Jeder 991 GT3 RS, der jemals produziert wurde, muss gerade hier sein. Ich zähle beim ersten Rundgang 32 Stück. Dazu sicher 12 Cayman GT4, diverse AMG GT R, mehrere McLaren 720S, drei Lamborghini Huracán Performante, unzählige M3/M4, ein paar Corvettes, Ferraris. Es ist unfassbar.
Inzwischen sind wir ein paar Runden gefahren und ich merke zwei Dinge. Erstens ist von meinem letzten Ringbesuch vor etwa einem Jahr deutlich weniger hängengeblieben als erhofft und zweitens ist der neue Carrera S deshalb genau das richtige Auto. Wie das zusammenpasst? Erzähle ich Ihnen gleich. Timos Tempo ist - sagen wir mal - straff, aber seine Anweisungen und Tipps sind Gold wert. Ich merke, wie ich Stück für Stück wieder rein komme. Ich werde schneller und bremse später. Das meiste hier ist eh Kopfsache. Neuralgische Punkte einprägen, extrem konzentrieren, Angst für ein paar Minuten woanders hinschieben.
"Im Jahr 2019 schafft ein heckgetriebener Carrera S Rundenzeiten, für die es vor Kurzem noch einen GT3 RS oder einen 911 Turbo gebraucht hätte. Und das Ganze ist obendrein kinderleicht zu beherrschen."
Der Elfer hilft dir dabei ungemein. Er reicht dir seine starke Pranke und führt dich unbeirrt da durch. Wer sagt, der neue 992 sei quasi schon zu fähig, um bei Landstraßentempo noch echte, ungefilterte Fahrfreude zu vermitteln, hat sicher nicht ganz Unrecht. Aber fahr das Teil mal richtig richtig schnell auf dieser schaurig hinterhältigen Eifel-Mautstraße und du wirst aus der Verblüffung so schnell nicht mehr herauskommen. Diese unerschöpflichen Mengen an Traktion, die absolut unerschütterliche Balance. Ich vermute, man könnte anstatt meiner Wenigkeit gerade auch einfach einen Affen lenken lassen, er wäre sicher ziemlich schnell.
Im Jahr 2019 schafft ein heckgetriebener Carrera S Rundenzeiten, für die es vor Kurzem noch einen GT3 RS oder einen 911 Turbo gebraucht hätte. Und das Ganze ist obendrein kinderleicht zu beherrschen. Es ist das Dilemma, das viele Enthusiasten und Elfer-Puristen ein Stück weit vom neuesten Elfer abrücken lässt. Du merkst ja permanent, wie gaga und grenzwertig der Speed ist, mit dem du da gerade durch die Grüne Hölle pflügst. Aber du spürst eben auch, dass du nicht sehr viel dafür ackern musst. Dass das Auto dir alles abnimmt. Selbst wenn du einen Bremspunkt völlig versemmelt oder viel zu spät eingelenkt hast, holt dich der Carrera S da sanftmütig souverän raus wie ein großer Bruder, wenn du dich mal wieder vor der Disco mit drei viel größeren Jungs angelegt hast. Das Gefühl völliger Sicherheit am Limit ist, glauben Sie mir das, verdammt viel Wert, wenn man wirklich schnell unterwegs sein will. Ich vermute, für eine quirlige Bergstraße würde ich immer einen Cayman bevorzugen, aber im Hier und Jetzt könnte ich mir keinen besseren Kompagnon wünschen.
Wir überholen eine Gruppe GT3 RS und ein paar Lotus Exige. Die Runde kommt mir auch ganz gut vor. Könnte was werden. Ich bin euphorisch. Aber irgendwie ist das Fahrerfeld heute unachtsamer als üblich. Ein ums andere Mal wird Gelb geschwenkt. Dieses Mal hat sich nähe Kesselchen ein 996 GT3 RS in die Leitplanke gewickelt. Wir passen die Geschwindigkeit an und beim Vorbeifahren drückt es mir einen kurzen heftigen Stich ins Herz. Die weiße Ikone mit den roten Streifen/Felgen, in ungewollt intensiver Umarmung mit der Streckenbegrenzung - sowas tut einfach weh. Schnell kommen wir wieder auf Tempo, aber die Runde ist so futsch wie der GT3. Eingang Döttinger Höhe schaue ich auf die Uhr. Knappe 8:15 Minuten. Heiliger Bimbam, du merkst wirklich nicht, wie schnell du mit dem neuen Elfer bist.
Obwohl es mittlerweile wirklich sehr ordentlich flutscht, muss ich mir meinen "Unter-acht-Minuten"-Blödsinn für heute in die Haare schmieren. Es sind einfach zu viele Autos auf der Strecke, mit allen leidvollen Konsequenzen, die sowas auf der Nordschleife mit sich bringt. Gegen 15:30 Uhr feuert ein weiterer Trackday-Teilnehmer ein veritables Einfamilienhaus a.k.a. seinen McLaren 720S in die Botanik und die Strecke bleibt für den Rest des Tages gesperrt. Obwohl keine komplett freie Runde zustande kommt, kratzen wir merhmals an der 8. Virtuell habe ich mein Ziel also dann irgendwie doch erreicht. Zumindest rede ich mir das ein. Mit meinen Fahrkünsten hat das am heutigen Tag vermutlich weniger zu tun. Eher mit dem hervorragenden Unterricht meines Guides Timo und der famosen, unverwüstlichen Pace des neuen Carrera S.
Was bleibt? 11 Runden, knapp 230 Kilometer, gut 60 Liter Sprit, je ein Satz Bremsen und Reifen, die einen Tag Grüne Hölle bei 38 Grad abspulten wie ein Kaffeekränzchen (auch das ist Porsche, nicht vergessen!) und die Erkenntnis, dass ein Tag Nordschleife mit einem Profi-Coach Talente freisetzt, von denen man nicht mal ansatzweise wusste, das man sie in sich trägt. Die Fähigkeit etwa, sich nicht komplett einzunässen, wenn man mit 250 km/h über eine Kuppe donnert und aus eigener Dummheit mal .. ähm .. leicht versetzt aufkommt. Oder die Qualität auch mal am vermeintlichen Limit weiter zu pushen, weil man gelernt hat, dass die Grenzen des Autos weit höher angesiedelt sind als die eigenen. Zumindest im Falle eines 992 Carrera S.
Der sehr durchdachte und hochgeschätzte Motor1.com-Verbraucher-Tipp zur Nordschleife lautet also: Wenn Sie unter 8 Minuten fahren wollen, kaufen Sie sich ein sehr sehr schnelles Auto, investieren Sie viel Geld in einen Profi-Rennfahrer, der Ihnen auf der Ideallinie voraus fährt und gehen Sie über Ihr eigenes Limit, bis die Strecke sitzt.
Um Gottes Willen, tun Sie das bloß nicht. Halten Sie es lieber mit Coach Timo: Stück für Stück rantasten, Respekt für die Strecke zeigen und Spaß am Fahren haben, unabhängig vom eigenen Tempo. Der Rest ist Übung, Übung, Übung. Irgendwann hat man sich auch 73 Kurven am Stück so eingeprägt, dass man kein stehendes Hindernis mehr für die anderen Fahrer ist. Es geht wirklich nicht um Rundenzeiten. Die kommen dann von ganz alleine.
Ich hoffe, mein Kumpel sieht das ähnlich, wenn er mich nächste Saison bei der RCN in unserem Fiesta auf Pokaljagd schickt. Mein Glück: Der kleine Ford schafft keine 8 Minuten, egal, wen man hinters Steuer setzt.