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Mercedes eSprinter im Test: Was taugt der Elektro-Transporter?

Reichen 116 PS und 295 Newtonmeter für einen 2,5-Tonner?

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Transporter mit Elektroantrieb schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden: Ford Transit, VW Crafter und Mercedes Sprinter werden derzeit als Elektro-Varianten auf den Markt gebracht. Wir haben den eSprinter gefahren und uns aus erster Hand bei Mercedes-Experten informiert.

Bitte erstmal die Basics zu dem Auto!

Der neue Sprinter kam im Sommer 2018 auf den Markt. Die Elektroversion steht ab Februar 2020 beim Händler. Angeboten wird die Kastenwagen-Version in der Länge A2 mit Frontantrieb und Hochdach. Das Gepäckraumvolumen beträgt ähnlich wie bei den konventionellen Versionen 10,5 Kubikmeter. Für den Antrieb sorgt im eSprinter ein 85 kW (116 PS) starker Elektromotor. Das ist genauso viel Leistung, wie die Sprinter-Grundversion mit Diesel bietet. Zwei Batterieversionen werden angeboten, die sich wegen des Akkugewichts auch in der Zuladung unterscheiden:

 3 Akkumodule4 AkkumoduleAkku35 kWh netto/41 kWh brutto47 kWh netto/55 kWh bruttoReichweite115 km (NEFZ)168 km (NEFZ)Nutzlast1.045 kg891 kg

 

Reichen denn 85 kW für so einen Transporter?

Nun ja. Wie wir bereits bei unserer ersten Testfahrt in Hamburg feststellten, wirkt der eSprinter nicht sehr flott. Ein Vergleich mit einem Elektro-Pkw, bei denen man teils direkt in den Sitz gedrückt wird, verbietet sich natürlich. Aber auch der ebenfalls in Hamburg gefahrene eVito (gleicher Antrieb, leichteres Auto) wirkte deutlich spritziger.  Aber auch im Vergleich zum kürzlich gefahrenen Ford Tourneo Custom mit Range-Extender-Antrieb ist der eSprinter ziemlich lahm, was man spätestens auf dem Beschleunigungsstreifen einer Autobahn merkt.

Dazu muss man bedenken: Wir fuhren die Version mit vier Akkumodulen, das heißt die schwerere: 3,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht minus 891 Kilo Nutzlast ergeben rund 2,6 Tonnen. Außerdem war unser Testwagen mit 250 Kilo beladen, das heißt, wir bewegten über 2,8 Tonnen. 300 Newtonmeter sind da nicht viel. Markus Reis, der Produktmanager des eSprinter sagt dazu: Der Elektromotor könnte deutlich mehr Leistung abgeben, die Leistung wird also heruntergeregelt. Denn der Fokus beim eSprinter lag eher auf Effizienz und Reichweite. Außerdem haben Flottenbetreiber bei stärker motorisierten Transporter bisweilen Probleme mit zu hohem Reifenverschleiß - nicht jeder angestellte Fahrer in einer größeren Flotte achtet da auf Materialschonung.

Wie schnell fährt das Auto? Und ist die Reichweite realistisch?

Bei einem Kastenwagen ist das wahrscheinlich nicht so wichtig; der eSprinter ist eher für die letzte Meile gedacht. Der Kunde kann wählen, ob die Höchstgeschwindigkeit 80, 100 oder 120 km/h betragen soll. Wir fuhren auf der Autobahn auch mal knapp über 100 km/h.

Was die Reichweite angeht, so scheint sie realistisch zu sein. Vor der Fahrt zeigte der Bordcomputer 135 Kilometer Restreichweite an. Nach der 29 Kilometer langen Strecke rund um und quer durch München zeigte sie 105 Kilometer an - praktisch eine Punktlandung. Dabei achteten wir überhaupt nicht auf Sparsamkeit, fuhren im C-Modus bei maximaler Rekuperation. 

Wie bitte, C-Modus? Was ist das denn? Und welche Einstellmöglichkeiten gibt es sonst?

Erstens gibt vier Rekuperationsmodi (D-, D, D+, D++), die mit den Lenkradpaddles aktiviert werden. Die Unterschiede sind deutlich. In der Stufe D++ segelt der eSprinter, sobald man das Gaspedal loslässt, das heißt: Er gleitet mit minimalem Widerstand dahin. D- bietet die stärkste Rekuperation. Damit lässt sich der Wagen ausschließlich mit dem Gaspedal fahren, zum Verzögern lässt man es einfach los (One-Pedal-Driving). Allerdings bleibt der Wagen (anders als etwa der BMW i3) nicht stehen, sondern kriecht weiter; an der Ampel muss man also dann doch die Fußbremse bemühen.

Außerdem gibt es drei Fahrmodi (E+, E und C), die mit einer Taste unter dem Systemstartknopf aktiviert werden. Im C-Modus wird die volle Leistung abgerufen, während die Leistungsanzeige (rechtes Instrument im Cockpit) in den Effizienzmodi teils nur bis 80 Prozent hoch wandert.

Sonst noch Fahreindrücke?

Ja. Wie bereits auf unserer ersten Testfahrt in Hamburg festgestellt, ist das Auto etwas hart gefedert. Nichts wirklich Schlimmes, aber vielleicht eine Erwähnung wert. Der Testwagen hatte eine Trennwand zum Gepäckabteil; es soll aber auch Varianten mit Durchgang geben, wie Produktmanager Reis erzählt. Trotz der Trennwand hatte der Wagen einen Innenspiegel, der natürlich nichts bringt. Das Geheimnis wird spätestens beim Einlegen des Rückwärtsgangs gelüftet: Der Spiegel enthält das Display für die Rückfahrkamera:

Wie zu erkennen, liegt die Rückfahrkamera weit oben, über den Türen. So kann man wohl auch erkennen, ob man eine Tür offen gelassen hat. Der Rückspiegel in einem Auto ohne Heckfenster wirkt etwas seltsam, da stimmen die Mercedes-Experten zu. Es ist aber eine günstige Lösung für die Unterbringung des Displays, so Reis. Eine Variante mit großem Display im Armaturenbrett ist in Vorbereitung.

Apropos Rückwärtsgang: Als typischer Mercedes hat der Sprinter den Getriebewahlhebel am Lenkrad:

Der Testwagen war recht spartanisch ausgestattet. Das passt zum typischen KEPler - so nennen die Fachleute die Fahrer in Kurierdienst, Express- und Paketdienst. Der Paketbote von Dpd, Hermes oder Amazon hat eben meist kein Einbau-Navi und keine Premium-Audioanlage an Bord, sondern ein Handy mit Halterung und ein simples Autoradio, genau wie unser Testwagen. Eine praktische Idee ist die so genannte KEP-Erkennung: Wenn der Fahrer oft die Tür öffnet und damit ständig viel Raumwärme verloren geht (wie es für Lieferdienste typisch ist), wird die Heizleistung automatisch reduziert. Damit der Fahrer nicht frieren muss, gibt es eine serienmäßige Sitzheizung.

Was die sonstige Ausstattung angeht, so ist sie variabel; sie wird vom Kunden gewählt. Das gilt auch für die Schiebetüren zum Be- und Entladen. 

Und wie ist das mit dem Aufladen?

Der Prototyp, den wir in Hamburg fuhren, hatte den Ladeanschluss noch hinter der Fahrertür, in der Nähe des Fahrersitzes, und es gab nur einen Typ-2-Anschluss, über den man nur mit Wechselstrom laden konnte. Das hat sich bei der Serienversion geändert. Nun lädt man das Auto über einen Anschluss hinter dem Stern an der Front. Wer mal ein Auto mit Ladeanschluss links am Straßenrand gesehen hat, das sich Strom von einer rechts stehenden Ladesäule holt, weiß, dass das ein Plus ist: So muss das Ladekabel nicht um das Auto herum gelegt werden.

Ein kurzer Druck auf das Markenlogo, und ein CCS-Anschluss wird sichtbar. Das heißt, den eSprinter kann man auch an der Schnellladestation aufladen. Das ist zum Beispiel wichtig, wenn der Transporter im Zwei-Schicht-Betrieb genutzt werden soll. Ein typischer KEPler fährt allerdings täglich nur etwa 60 Kilometer, das heißt, selbst die kleine Akkuvariante reicht aus. Serienmäßig kann der eSprinter mit 20 kW Gleichstrom geladen werden, optional gibt es eine Schnellladefunktion mit 80 kW. Damit kann man den Akku in 30 Minuten von 10 auf 80 Prozent aufladen. 

Eine Besonderheit ist das Aufladen mit Wechselstrom. Anders als die meisten Elektro-Pkw, die wir kennen (die entweder ein- oder dreiphasig geladen werden), kann man den eSprinter ein- oder zweiphasig laden, wie mir Reis erklärt. Pro Phase werden 3,7 kW gezogen, das macht 7,4 kW maximal, so der Experte. Das Laden an einer öffentlichen AC-Ladesäule fürs dreiphasige Laden ist trotz des seltenen Lademodus kein Problem, beteuert Reis. Es werden einfach nur zwei Phasen abgegriffen. Auch das einphasige Laden im Ausland ist kein Problem: Wer mit dem Auto zum Beispiel nach Frankreich fährt, wo einphasiges Laden mit 7,4 kW erlaubt ist, sollte daran denken, ein passendes (dickeres) Kabel mitzuführen, denn sonst wird die Ladeleistung automatisch heruntergeregelt. Zu Hause in Deutschland mit dem normalen Ladekabel dauert ein Ladevorgang mit 7,4 kW Wechselstrom sechs Stunden.

Auf die Batterie gibt Mercedes acht Jahre oder 200.000 Kilometer Garantie; das bezieht sich auf eine Batteriekapazität von 70 Prozent. Auf die Frage, ob der Akku gewechselt wird, wenn der Garantiefall eintritt, sagt Reis: Man kann den Akku auswechseln, aber vernünftiger ist es, einen Anwender zu suchen, der weniger Reichweite braucht. Das heißt: Man verkauft den eSprinter mit 60 Kilometer Reichweite zum Beispiel an einen Bäcker, der ohnehin nur einmal am Tag das Brot anliefert.

Fehlt noch der Preis, oder?

Stimmt, aber da müssen wir passen, denn Mercedes verrät ihn noch nicht. Beim kleineren Vito kostet die Elektroversion etwa 15.000 bis 18.000 Euro mehr als ein vergleichbarer Diesel. Den Sprinter A2 mit Hochdach, 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht und 84-kW-Diesel kostet etwa 41.000 Euro. Dementsprechend dürfte der eSprinter bei etwa 56.000 bis 59.000 Euro landen.

Lohnt sich das denn?

Aus dem Bauch heraus würde ich antworten: Das wird schwierig. 15.000 Euro wieder hereinfahren durch die niedrigeren "Kraftstoff"-Kosten des Stromers dürfte schwer fallen, vor allem, wenn man täglich nur 60 km fährt. Das sind bei 200 Arbeitstagen gerade mal 12.000 Kilometer jährlich.

Im Detail hängt die Wirtschaftlichkeit auch von den übrigen Gegebenheiten ab. Wer sich unsicher ist, kann bald auf ein Online-Tool von Mercedes zugreifen, mit dem man die Total Costs of Ownership (TCO) vergleichen kann, den so genannten eCost Calculator. Dabei werden auch die Installationskosten für Wallboxen und eventuell nötige Erweiterungen der Netzleistung einbezogen.

Ein weiteres Tool ist die eVan Ready App, mit der Interessenten herausfinden können, ob ihr Tagesablauf mit dem eSprinter kompatibel ist. Man fährt einfach seine typische Strecke mit dem Diesel-Transporter und die App trackt die Fahrt. Danach sagt einem die Anwendung, ob man die Tour auch mit dem eSprinter geschafft hätte.

Fazit: 8/10

Der Mercedes eSprinter ist ein umweltfreundlicher Transporter für die letzte Meile. Fahrspaß ist da nicht gefragt, der KEPler fährt, was man ihm hinstellt. Die Spezifikationen hören sich für diesen Anwendungsfall vernünftig an. Schade finde ich, dass der Wagen nicht wenigstens in der Stufe D- ganz zum Stillstand kommt, das würde das Fahren in der Stadt erleichtern. Außerdem ist das Aufladen mit nur 7,4 kW doch etwas langwierig, und DC-Ladestationen sind teuer. Daher ist es verwunderlich, dass sich die Kunden keine dreiphasige Lademöglichkeit mit 22 kW wünschen ...

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