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Test Porsche 718 Boxster/Cayman GTS 4.0: Soft-Sechs

Zwei sehr gute Autos sind gerade sehr viel besser geworden

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Uuuh, das klingt so gut!

Das tut es in der Tat. Es ist ja nicht so, als wären Boxster und Cayman seit ihrer Vierzylinderisierung plötzlich grauenvolle Gefährte. Das Gegenteil ist der Fall. Aber irgendwie ist es wie mit den Lieblings-Chips, die aus völlig unverständlichen Gründen (wie einem seltsamen Zeitgeist oder .. ähm .. der Gesundheit) plötzlich 30 Prozent weniger Fett beinhalten. Sie machen immer noch glücklicher als das meiste andere Zeug, aber wie viel besser waren sie, als sie noch ohne Rücksicht auf Verluste frittiert wurden?

Porsche scheint die anhaltende Kritik der Enthusiasten gehört zu haben und bringt nun - zumindest bei den GTS-Modellen - den vollen Geschmack zurück. Inklusive einer fetten Schicht Extra-Käse, wohlgemerkt. Der Käfer-esk rumpelnde 2,5-Liter-Turbo-Vierpötter ist im Gran Turismo Sport Geschichte und macht endlich wieder Platz für einen Sechszylinder. Aber nicht irgendeinen Sechszylinder. An seine Stelle tritt eine minimal abgemilderte Variante des neuen 4,0-Liter-Saugers aus 718 GT4 und Spyder. Inklusive Sechsgang-Handschalter als vorerst einzige Option. Halleluja, mehr unverhoffte Echtheit geht eigentlich gar nicht! Es ist, als hätte man sich zu Weihnachten Metallica-Karten gewünscht und plötzlich darf man mit Hetfield, Ulrich und Co. auf Tour.

Gib uns noch mehr sinnlose Metaphern!

Schon gut, kommen wir lieber zu den Zahlen. Rein über die Motorelektronik reduziert Porsche die Leistung im 718 GTS auf 400 PS. Das sind 20 PS weniger als im GT4. Das Drehmoment bleibt mit 420 Nm gleich. Das Drehzahllimit fällt von 8.000 auf 7.800 U/min. Die übliche Abgrenzung zum Topmodell, Sie kennen die Spielchen. Zum Vergleich: Der Vierzylinder im abgelösten GTS brachte es auf 365 PS und 430 Nm, drehte maximal 7.500 Touren.  

 

Von 0-100 km/h braucht der neue GTS 4.0 (so die offizielle Bezeichnung) 4,5 Sekunden. Eine Zehntel mehr als der GT4, eine Zehntel weniger als der Vorgänger mit Handschalter. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 293 km/h. Interessiert in einem solchen Gefährt vermutlich keine Sau, sei aber der Vollständigkeit halber erwähnt.

Bei Fahrwerk, Lenkung, Bremsen und den vielen serienmäßigen Performance-Goodies ändert sich im Prinzip nichts. Es bleibt beim PASM-Sportfahrwerk mit 20 Millimeter Tieferlegung. Das Sport-Chrono-Paket, die adaptive Motor-Getriebe-Lagerung und das Torque-Vectoring-System inklusive mechanischer Hinterachs-Sperre sind auch immer dabei. Aufgrund des schwereren Motors wurden lediglich am Feder-, Dämpfer- und Stabi-Setup der Hinterachse kleinere Anpassungen vorgenommen. 

So steigt der GTS quasi zur zivileren, weniger extrovertierten und etwas alltagstauglicheren Variante der Weissacher Hardcore-Geräte GT4 und Spyder auf. Der epische Motor in Kombination mit einem etwas weniger extremen Fahrwerkssetup könnte den neuen GTS 4.0 zum absoluten Sweetspot der Baureihe machen.  

Und? Er wird durch den neuen Motor vermutlich nicht schlechter geworden sein, oder?

Oh mein Gott, nein! Natürlich nicht! Der 718 GTS war bisher schon nahe an der Idealvorstellung eines kompakten, halbwegs erreichbaren Mittelmotorsportwagens. Sie können sich vorstellen, was passiert, wenn man die einzige Komponente, die leicht abfiel, entfernt und sie gegen etwas absolut Herausragendes ersetzt. Ekstase passiert. Anders kann man es, auch wenn man sich als seriöser Tester grundsätzlich um Contenance bemühen sollte, eigentlich nicht sagen.

Porsche 718 Boxster GTS 4.0 (2020) im Test

Es ist ja nun wirklich nicht so, dass der Zweifünfer-Vierzylinder (im Cayman/Boxster S weiterhin erhältlich) ein grottuides Aggregat wäre, aber reiner Speed ist halt nicht alles. Es mangelt ihm ein bisschen zu sehr an Charisma und der Leichtigkeit des Seins. Beides ist nun wieder vorhanden. Im absoluten Übermaß. Und der Speed ist geblieben. Nur anders. Besser. Ein grandioses Chassis hat nun endlich den Motor, den es verdient. Vielleicht sogar ein bisschen mehr. 

Ansprechverhalten und Drehlust des Viernullers ziehen einem ein ums andere Mal die Mundwinkel hinter die Ohren. Ab knapp 6.000 Touren kommen dann die Tränen der Verzückung und ein stattliches Flirren in der Magengegend hinzu. Es ist wirklich spektakulär, wie der GTS auf die letzten 2.000 Touren nochmal zusetzt. Klar, der Motor aus dem 911 GT3 mit seinem hochalpinen 9.000er-Drehzahllimit fährt weiterhin in einer anderen Gänsehaut-Sphäre, aber darunter dürfte es derzeit nichts geben, was einem derart viel Potenz und Gier so unglaublich grazil, tänzerisch und perfekt modellierbar auftischt.

Na klar, natürlich sind auch hier der zweite und der dritte Gang wieder viel zu lange übersetzt. Der Zweite geht bis gut 135 km/h, der Dritte bis 180 Sachen. Porsche erklärt das übrigens nicht nur mit besseren Emissionswerten, sondern mit der Zielvorgabe für die Höchstgeschwindigkeit. Kürzer übersetzen wäre kein Problem, aber dann liefe die Fuhre halt nur noch knappe Zwofufzig und darüber wäre der Kunde im Schnitt nicht so wirklich erfreut, sagte man mir.

Verschmerzbar ist es allemal, auf der Rennstrecke manchmal ein bisschen weniger, im Alltag aber definitiv. Man würde halt einfach gerne öfter schalten, weil es sich so verflucht gut anfühlt, den kleinen Alcantara-Hebel kurz und pfurztrocken in die nächste Gasse zu klicken. Diese Schaltung zu toppen, das kriegt aktuell auch niemand wirklich hin. 

Bliebe noch der partikelgefilterte Klang, der richtig gut kommt, wenn man die letzten ungefilterten Sauger aus Zuffenhausen nicht kennt. Kennt man sie, kommt er nicht mehr ganz so gut. Der einst so rohe metallische Hall klingt nun gedämpfter und etwas künstlicher. Für das Jahr 2020 aber noch immer eines der schöneren automobilen Akustik-Erlebnisse. 

Warum sollte ich mir eigentlich noch einen GT4/Spyder kaufen? 

Naja, das kommt ganz darauf an, was Sie sich von Ihrem künftigen Spaß-Zweisitzer erwarten. 718 GT4 und Spyder mit all ihren GT3-Komponenten und der im Vergleich monströsen Aerodynamik fahren definitiv trockener und fokussierter. Aber je nach Einsatzzweck muss das für den GTS kein Nachteil sein, ganz im Gegenteil. 

Auf der Rennstrecke ist auch er ein ganz schönes Brett. Folgt millimetergenau, mit einer wunderbar kommunikativen Lenkung, brachialen Stoppern, hervorragendem Hinterachsgrip und einer schwer zu fassenden Gutmütigkeit. Hier kommt kein hinterfotziges Mittelmotor-Biest, sondern ein Auto, das tendenziell sehr neutral fährt, auch mal einen Schnitzer ohne Murren wegsteckt. Beim Anbremsen aus hohen Geschwindigkeiten hilft die automatische Zwischengasfunktion beim Runterschalten (im Sport Plus-Modus) natürlich auch mit, dass da am Heck nicht mal ansatzweise etwas wackelt. Einzig in schnellen langgezogenen Kurven geht der GTS 4.0 vor dem Untersteuerteufel in die Knie, schiebt dann leicht über die Vorderräder nach außen.

Sollten noch irgendwelche Zweifel an der Güte dieses Gefährts bestehen, empfiehlt sich ein Ausflug auf eine kurvenreiche Land-/Bergstraße. Gefühlt ist der GTS 4.0 (egal ob Cayman oder Boxster, die Unterschiede sind nahe Null) hier noch mehr in seinem Element. Warum? Weil Porsche das inzwischen so selten gewordene Kunststück gelungen ist, einen modernen Sportwagen zu bauen, der keine horrenden Geschwindigkeiten benötigt, um aus sich herauszugehen, Beweglichkeit und Spielfreude zu zeigen. 

Es dürfte sehr wenige Autos geben, die eine bessere, unterhaltsamere, großartigere Chassisbalance aufweisen als ein 718. Und die Kraft, das ansatzlose Ansprechverhalten des neuen Motors geben einem nun noch leichter die Möglichkeit, dies in voller Bandbreite auszunutzen. Dieser neue GTS ist ein verdammt ernsthafter Sportwagen, aber das Tänzeln, das Schäkern, das Laissez-faire, das hat man ihm Gott sei Dank nicht wegtrainiert. Es braucht gar nicht viel Input, um das Heck einzudrehen, den Hintern ins Rutschen zu bringen. Ein leichter, ein sorgenfreier Schlupf. Leicht zu kontrollieren, irre spaßig, irre befriedigend. 

Also kaufen?

Wenn Sie vorhaben, einen 718 Boxster/Cayman zu erwerben, nur ein Fünkchen für Motorkultur übrig haben und nicht permanent auf der Nordschleife unterwegs sind, dann führt quasi kein Weg am neuen GTS 4.0 vorbei. Er schlägt die - zugegebenermaßen knapp 14.000 Euro günstigeren - S-Modelle charakterlich windelweich. Im Vergleich zu den - dieses Mal knapp 14.000 Euro teureren - GT4- und Spyder-Varianten verliert er etwas an Athletik und Drill, macht das aber gerade für Genussfahrer durch ein Plus an Geschmeidigkeit und Nonchalance mehr als wett.

Eine richtige Konkurrenz gibt es mit der Einführung des 400-PS-Aggregats ja ohnehin nicht. Fahrerisch und vom Ausmaß des Erlebnisses her, schauen BMW Z4, Toyota Supra oder meinetwegen auch ein Jaguar F-Type bei aller Liebe ganz schön in die Röhre. Und nein, ich bin beim Fahrtermin nicht gehirngewaschen worden. Manchmal, ganz selten, sind Autos einfach wirklich so gut. 

Fazit: 9/10

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