Hier fahren Sie besser!
Automobile.at logo

VW Polo Facelift (2021) mit 110-PS-Benziner im Test

Sehr reif, sehr angenehm, sehr teuer

Motor1.com Deutschland: Auto-Tests, Auto-News und Analysen
Marke wählen

Was ist das?

Im bisherigen Jahr 2021 belegt der VW Polo in der deutschen Zulassungsstatistik lediglich Rang 13, liegt hauchdünn vor dem Tesla Model 3. Das soll nicht heißen, dass er unwichtig geworden ist. In Großbritannien etwa muss er nur dem Ford Fiesta und seinem großen Bruder Golf den Vortritt lassen. 

Bei uns allerdings scheint der Polo gegen die kleinen Crossover wie den T-Cross oder von mir aus auch den T-Roc immer mehr den Kürzeren zu ziehen. Und den Taigo gibt es jetzt ja auch noch. Ob die jüngste Blutauffrischung dem extremen Trend zu mehr Dach- und Fahrhöhe entgegenwirken kann, wird sich zeigen. Nach gut vier Jahren war es aber ohnehin höchste Zeit für ein Facelift. 

Selbiges macht den Polo optisch zum Mini-Golf 8, spendiert LED-Leuchten rundum und vorne eine schicke Lichtleiste. Sogar LED-Matrix-Licht ist jetzt optional erhältlich. Innen wurde vor allem an der Bildschirm-Front herumgeschnibbelt. Instrumenten- und Infotainment-Screen wirken jetzt mehr wie aus einem Guss. Selbst die letzten echten Knöpfe und Taster hat man "erfolgreich" ausgerottet. Der zentrale Touchscreen misst je nach Wunsch 8,0 oder 9,2 Zoll.

Bei der gehobenen R-Line-Ausstattung des Testwagens setzen die Wolfsburger auch bei der Klimabedienung auf Touch-Flächen. Bevor Sie an den Golf 8 denken und laut und panisch zu schreien beginnen, sei erwähnt: Die ganze Nummer ist im Polo deutlich besser gelöst, dazu gleich mehr. 

Kommen wir zu den Motoren: Der Diesel wurde ja schon im letzten Jahr endgültig begraben. Die übrig gebliebenen Antriebe verfügen alle über drei Zylinder und einen Liter Hubraum. Der Sauger mit 5-Gang-Handschalter leistet 80 PS, dazu kommen ein Turbo mit 95 PS (wahlweise als Schalter oder mit DSG) und die von uns getestete Topversion mit 110 PS und serienmäßiger 7-Gang-Doppelkupplung. 

An Fahrwerk, Lenkung et cetera hat Volkswagen nichts geändert. An der Preisgestaltung allerdings schon. Grundsätzlich gibt es jetzt mehr Serienausstattung als vorher. Wenn man auf die Spec-Liste unseres Testwagens schaut, zieht es einem trotzdem kurz den Boden unter den Füßen weg.

Die R-Line-Topvariante des zweitschnellsten Polo (den mit 207 PS nahezu doppelt so potenten GTI gibt es ja auch noch) startet bei 26.840 Euro. Unser vollausgestattetes Modell mit 17-Zöllern, großem Navi, Level-2-Fahrerassistenzpaket, Soundsystem und so weiter liegt letztlich bei 33.005 Euro. Und ja, wir reden hier wirklich von einem Polo mit 1,0-Liter-Dreizylinder. 

Wie fährt er?

Sehr unspektakulär - im bestmöglichen Sinne. Der Polo bleibt weit entfernt von den dynamischen, hyperagilen Ambitionen eines Ford Fiesta. Er lässt es wesentlich ruhiger angehen, wirkt dafür aber auch bequemer, luftiger, erwachsener und weniger fahrig.

Die Lenkung ist sehr leichtgängig und auch präzise, vermittelt aber nicht übermäßig viel Gefühl oder Sportlichkeit. In einem Polo ohne "GTI" auf dem Heckdeckel erscheint das mehr als verkraftbar. Wie sich das Auto bewegt, wie es sich steuern und kontrollieren lässt, das ist alles sehr angenehm und geht leicht von der Hand. Ohne aber je schluffig, weich oder unmotiviert zu wirken. 

Dazu passt auch die sehr homogen eingestellte Federung. Der Polo rollt sehr komfortabel ab, hängt aber nie durch und hält gut die Spannung. 

Ein Schwachpunkt ist nach wie vor das Zusammenspiel zwischen Einliter-TSI und 7-Gang-DSG beim Anfahren. Es ist immer das gleiche Spiel: Erst tut sich sehr lange nix, dann "verschluckt" sich das Auto kurz und gibt zu viel Leistung auf einmal ab, was in einem unangenehmen Hopser nach vorne endet. Dass die Herrschaften in Wolfsburg dieses seit Jahren bekannte Problem einfach nicht in den Griff bekommen, ist schon ziemlich hanebüchen.  

Der Rest des Antriebserlebnisses kann sich aber durchaus sehen lassen. Auch mit der leistungsstärksten Motorisierung wird der Polo nicht zum Torpedo, beschleunigt in 10,4 Sekunden von 0-100 km/h und läuft 195 km/h Spitze. Aber das Beschleunigungsvermögen, auch bei höheren Geschwindigkeiten auf der Autobahn, geht absolut in Ordnung. 

Bis auf die nervtötende Anfahrschwäche macht das Getriebe einen runden Eindruck, schaltet schnell und ohne merkliche Ruckler. Geräuschtechnisch schlägt sich das Auto ebenfalls sehr ordentlich. Beim Beschleunigen erlebt man das typisch raue Dreizylinder-Knurren, das auch hier wieder sehr charismatisch klingt. Einmal auf Touren dringt aber erfreulich wenig ans Ohr der Insassen. 

Die Frage ist dennoch, ob es die ziemlich teure 110-PS-Maschine mit der zwangsläufigen Automatik sein muss, gerade weil letztere einmal mehr gravierende Schwächen beim Anfahren aufweist. Der 1.0 TSI mit 95 PS und 5-Gang-Handschalter etwa ist kaum langsamer (0-100 km/h in 10,8 Sekunden, 187 km/h Spitze), aber fast 3.000 Euro günstiger. 

Wie ist er innen?

Starten wir mit den Themen, die Sie mit Sicherheit am brennendsten interessieren dürften: Infotainment und Bedienung. Wenn Sie sich nach dem Dauer-Fiasko beim Golf 8 (das ja jetzt großflächig behoben werden soll) bereits auf das Schlimmste vorbereitet haben, dann kann ich Sie beruhigen. Bei unserem Testwagen war wirklich alles in Ordnung. 

Das Infotainmentsystem punktet mit guter Grafik und schnellen Reaktionszeiten. Ewiges Nachladen oder gar Abstürze wie beim großen Bruder - Fehlanzeige. Sehr angenehm: Die Touchflächen am Lenkrad, die beim Golf ein Debakel sind, erspart man der Kundschaft. Hier ist alles wie gehabt und das funktioniert prächtig. Bemerkenswert auch: Der Polo zeigt, wie eine Klimabedienung trotz Touch-sensitiver Flächen zum Erfolg werden kann.

Hier sind die verschiedenen Bedienfelder für Temperatur, Sitzheizung und Co. tatsächlich gut beleuchtet (was der Golf ja nach wie vor nicht schafft), einfach zu treffen und sie sprechen schnell und zuverlässig an. Sollten Sie dennoch keinen Bock auf den neumodischen Kram haben - in den Ausstattungen Basis und Life gibt es noch gute alte Knöpfe und Regler.  

Gerade vorne wirkt der Polo nach dem Facelift noch mehr der Kleinwagenklasse entwachsen. Es ist ja nicht nur die Haptik und die Optik des Armaturenbretts und all der Anzeigen. Auch was die Sitze und das Raumgefühl betrifft, kann das Auto überzeugen. 

Hinten ist es um die Beinfreiheit eher mau bestellt. Zumindest, wenn man zwei Menschen über 1,80 Meter hintereinander unterbringen will. Aber in welchem Kleinwagen ist das wirklich anders? Die Kopffreiheit ist großzügig. Genau wie der Kofferraum mit seinen 351 bis 1.125 Liter Volumen.   

Fazit: 7/10

Der Polo ist und bleibt der stärkste Allrounder unter den Kleinwagen. Ein derart erwachsenes und geschliffenes Bild auf der Straße und im Interieur bietet in diesem Umfeld kein anderes Fahrzeug. 

Er ist definitiv kein Sportler, aber sicher der Kleinwagen mit dem man am liebsten auch längere Strecken in Angriff nehmen würde. Schön auch, dass das modernisierte Infotainment- und Bediensystem hier keine Sorgen bereitet. 

Eine höhere Wertung verhindern die störende Anfahrschwäche und die mehr als selbstbewusste Preisgestaltung der Topmotorisierung. Probieren Sie ruhig mal den 95-PS-Benziner mit Handschalter aus. Er könnte die beste Wahl im Polo-Portfolio sein. 

© Motor1.com