Eine fünf Meter lange Limousine und Linksverkehr sorgen für erhöhten Puls








Was mache ich hier eigentlich? Dieser Gedanke wabert durch meinen Kopf, als ich im Vorraum einer Autovermietung in Tokio sitze. Gleich geht es hinter das Steuer und mitten rein in den Verkehr einer Neun-Millionen-Stadt. (Der Großraum Tokio hat sogar 40 Millionen Einwohner.) Nun gut, ich fahre seit 18 Jahren quasi beruflich Auto und war auch schon in anderen Ländern mit Linksverkehr unterwegs. Aber das hier wird eine ganz besondere Nummer, schwant mir.
Wobei ich bereits darüber im Klaren war, nachdem mich Toyota schon Wochen vorher darum bat, meinen Führerschein ins Japanische übersetzen zu lassen. Das geschieht beim ADAC und ist die wesentliche Voraussetzung, um als Tourist in Japan ein Auto bewegen zu dürfen. Aber wie es so ist: Steht man erst einmal auf dem Fünf-Meter-Brett, geht einem die Düse.
Zum Glück habe ich mich vorbereitet: Am Hanozono-Schrein in Shinjuku erwarb ich zwei Amulette für Sicherheit im Straßenverkehr, eines für meinen Beifahrer. Da kann ja eigentlich nichts schiefgehen. In der Autovermietung warten vier brandneue schwarze Toyota Crown Limousinen auf unsere Gruppe. Quasi der VW Passat Japans, die 16. Generation des Crown erschien 2023, inzwischen ist Crown eine Submarke im Toyota-Reich.
Ich sehe mir meinen fahrbaren Untersatz an: Fließheck-Optik, aber mit kleiner Kofferraumöffnung per Deckel. In jedem Fall ist die Crown Limousine exakt 5,03 Meter lang, 1,89 Meter breit und 1,47 Meter hoch. Hervorragende Abmessungen für eine Mega-Metropole. Ironie aus. Ich zwänge mich auf der rechten Seite hinter das Lenkrad. Und versuche meine Beine einzufädeln. Irgendwie wäre jetzt mehr Höhenverstellung toll. Mein linkes Bein kuschelt mit der massiven Mittelkonsole.
Nun aber los, es hilft ja nix. Schon beim ersten Blinkvorgang verwechsele ich natürlich die Hebel für Scheibenwischer (links) und Blinker (rechts). Nur gut, dass der Crown ein Automatikgetriebe an Bord hat. Das werksseitige Navi verliert bereits nach 200 Metern im Gewusel von Shinjuku die Übersicht. Nur gut, dass a) die Polizei meinen U-Turn nicht sieht, b) es zum Glück um die Mittagszeit ist und c) die Japaner zuvorkommend sind.
Doch während der halben Stunde, die mich durch Shinjuku und Shibuya (samt der berühmten Shibuya Crossing) führt, muss ich wie ein Luchs aufpassen. Die Ampeln hängen meist oben, zudem muss man wissen, welche für einen selbst gilt. Und immer auf Fußgänger aufpassen. Zum Glück hat sich das Navi gefangen und zeigt mir, welche Spur ich benutzen sollte. Den die verschlungene Straßenführung nötigt jedem knotenden Seemann Respekt ab.
Und auch gut: In japanischen Städten parken so gut wie keine Autos an der Straße. Trotzdem sind die beiden Außenspiegel des Crown an diesem Tag meine besten Freunde. Zudem zeichnet der Mietwagen einige Situationen auf, wie er uns mitteilt. Big Brother lässt grüßen.
Bilder von: Motor1.com Deutschland
Endlich erreichen wir die Schnellstraße, es wird entspannter. Dort gilt übrigens Tempo 100, in der Stadt meist 40. Dazu passt der 2,5-Liter-Hybrid unseres Crown, Systemleistung 185 PS ohne Turbo, aber immerhin 300 Nm Drehmoment. Noch deutlich mehr davon haben die vielen Porsche 911 samt oft passendem Kennzeichen wie 9-11 oder 9-91, deren Anzahl uns erstaunt. Hinter Kawasaki (Ja, das mit dem Motorrad) und Yokohama (Heimat von Nissan) erreichen wir die riesige Raststätte von Gunma. Unzählige Restaurants mit bezahlbarem japanischen Essen erwarten uns hier. Nimm das, Tank und Rast!
In einem der Shops finde ich sogar ein Spielzeugauto unseres Crown von Tomica im Maßstab 1:66. Wenn das kein gutes Omen ist. Ungefähr 25 Minuten später landen wir in viel Landschaft. Der Hybrid und sein CVT-Getriebe singen kakophonisch angestrengt. Teils sehr kurvig schlängelt sich eine Straße in Richtung des Hakone. Er ist ein aktiver Vulkan auf der japanischen Hauptinsel Honshū und liegt rund 80 Kilometer südwestlich von Tokio in der Präfektur Kanagawa.
Bilder von: Motor1.com Deutschland
Zu dem bis zu 1.438 Meter hohen Vulkan gehört eine mautpflichtige Straße, der berühmte Hakone Turnpike. Seit dem 19. Jahrhundert zählt die Region um den Hakone zu den bekanntesten und meistbesuchten Erholungs- und Tourismusgebieten Japans. Sie ist Teil des Fuji-Hakone-Izu-Nationalparks, zu dem auch der Fuji im Westen und die Izu-Halbinsel im Süden gehören.
Der Hakone Turnpike entstand eigentlich für Lastwagen, mit dem Bau moderner Autobahnen verlor er an Bedeutung. Doch seit einigen Jahren entdeckt ihn die japanische Auto- und Tuningszene wieder. Inmitten der herbstlich-goldenen Landschaft kommt auch uns plötzlich ein Nissan GT-R Skyline R34 entgegen. Begleitet von einem Toyota AE86 im "Initial D"-Look und einem späten Mazda RX-7 FD. Ich muss mich kneifen, nicht in einem Manga gelandet zu sein.
Auf 14 Kilometern erreicht man eine Höhe von gut 1.000 Metern und kann den Fuji aus der Ferne sehen. Theoretisch. Denn an diesem Herbsttag ist es zu diesig, der Himmel zu wolkenreich. Schlimm ist das nicht, denn auch die Landschaft entlang unserer Strecke bietet tolle Aussichten.
Zu lange können wir nicht verweilen, wir müssen schließlich wieder die gut 100 Kilometer zurück nach Tokio. Wehe, man gerät in die Rush-Hour. Dazu kommt es nicht, um Yokohama herum stehen wir lange in einem Stau. Unfallbedingt haben fleißige Japaner die halbe Autobahn abgesperrt. Erst gegen 19:30 Uhr erreichen wir wieder die Innenstadt von Tokio. Nun fährt mein Kollege, ich kann die Lichter und die Atmosphäre von Shibuya und Co. in mich aufnehmen.
"I wanna wake up in a city that doesn't sleep", sang einst der in Japan sehr beliebte Frank Sinatra über New York. Er könnte auch Tokio gemeint haben. Das nächste Mal brauche ich seine Musik im Auto. Und ein kleines Kei Car.