Autoindustrie in Europa: Warum sie das Verbrenner-Aus gefährdet hat

Der langsame Übergang zur Elektromobilität und der chinesische Wettbewerb stehen im Rampenlicht

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Die Emissionsvorgaben für das Jahr 2035 wurden von der Europäischen Kommission 2022 festgelegt - zu einem Zeitpunkt, als sich die europäische Wirtschaft gerade von der Pandemie erholte. Grundlage war die Annahme, dass sich emissionsfreie Fahrzeuge rasch durchsetzen würden.

Und so die Hersteller spätestens ab 2025 kaum noch auf Modelle mit Verbrennungsmotor angewiesen wären. Ab 2035 sollte der Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor vollständig untersagt sein. Doch schnell machte der Kampfbegriff vom "Verbrenner-Aus" die Rede.

Diese Annahmen haben sich bislang nicht bestätigt. Drei Jahre nach Veröffentlichung der Ziele liegt der Anteil rein batterieelektrischer Fahrzeuge bei den Neuzulassungen in Europa unter 20 Prozent. Der Hochlauf verläuft langsamer als erwartet. Elektroautos sind weiterhin teurer als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die Ladeinfrastruktur ist regional lückenhaft, und die Restwerte von E-Fahrzeugen bleiben meist hinter denen vergleichbarer Modelle mit Verbrenner zurück.

EU-Ziele für 2035: ambitionierter Plan, veränderte Realität

Vor diesem Hintergrund sah sich die Europäische Union gezwungen nachzusteuern. Statt einer vollständigen Reduktion der CO₂-Emissionen um 100 Prozent bis 2035 gilt nun ein Ziel von 90 Prozent. Damit bleibt ein begrenzter Spielraum für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, etwa Hybride, auch über das Stichtagsjahr hinaus. Voraussetzung für den weiteren Verkauf solcher Modelle ist unter anderem der Einsatz von grünem Stahl in der Fahrzeugproduktion.

Rückblickend erweisen sich die ursprünglichen Ziele als extrem ehrgeizig. Für viele Hersteller entwickelte sich der geplante Umstieg auf batterieelektrische Fahrzeuge zu einer wirtschaftlichen Belastung. Milliardeninvestitionen in neue Plattformen, Batterietechnik und Werke standen einer deutlich geringeren Nachfrage gegenüber als prognostiziert. Parallel dazu begannen chinesische Hersteller, ihre Marktposition systematisch auszubauen - zunächst in China, später zunehmend auch in Europa.

Der Vormarsch chinesischer Hersteller

Zwischen Januar und September 2025 stiegen die Verkäufe chinesischer Automarken in Europa um 91 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Rund 510.000 Neuzulassungen entsprechen inzwischen einem Marktanteil von 5,2 Prozent. Auch wenn dieser Wert auf den ersten Blick moderat erscheint, liegt er deutlich über den 2,7 Prozent aus dem gleichen Zeitraum 2024 - und verteilt sich auf mehr als 20 aktive Marken.

Druck auf die europäische Industrie

Diese Entwicklung hat die Lage für europäische Hersteller verschärft. Hohe Investitionen in Elektromobilität treffen auf eine schwache Nachfrage, während gleichzeitig Marktanteile an chinesische Anbieter verloren gehen - unabhängig davon, ob es sich um Elektroautos, Plug-in-Hybride, Vollhybride oder klassische Verbrenner handelt. Die Folgen sind sichtbar: Volkswagen schließt Werke in Europa, Stellantis stoppt die Produktion an mehreren Standorten, und BMW sowie Mercedes erreichen nicht mehr die früheren Gewinnniveaus.

Besser spät als nie

Die Entscheidung, das Verbrenner-Aus ab 2035 zu lockern, erscheint vor diesem Hintergrund folgerichtig. Die Regulierung hatte sich zunehmend von den realen industriellen und marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen entfernt. Zwischen politischer Zielsetzung und der Realität in Fabriken und Autohäusern klaffte eine Lücke.

Regulierung kann Orientierung geben und Innovation fördern. Wird sie jedoch zu starr und zu ambitioniert, wird sie zur Belastung. Die ursprünglichen Vorgaben für 2035 entwickelten sich zu einer ernsthaften Gefahr für die europäische Automobilproduktion - und gleichzeitig zu einem Vorteil für Hersteller, die bereits heute wettbewerbsfähige Elektroautos anbieten können.

Solange Europa keinen überzeugenden Weg zurück zu mehr Wettbewerbsfähigkeit findet, sollte Regulierung unterstützen statt behindern. Die europäische Wirtschaft braucht vor allem Innovation, strategische Klarheit und Umsetzungskraft - und weniger zusätzliche Komplexität.

Krise und Erholung in Europa. Die Zahlen

  Erste Krise Zweite Krise
Jahre 2012-2013 2020-2021
Jahresdurchschnitt der zugelassenen Fahrzeuge 12.432.398 11.868.002
Vergleich mit den letzten 2 Jahren vs. 2010-2011: - 9 % vs. 2018-2019: - 24 %
Erholung: 4 Jahre später 2014-2017 2022-2025
Jahresdurchschnitt der zugelassenen Fahrzeuge 14.492.734 12.576.030
Zulassungen, Veränderung
Erholungsphase vs. Krise
+ 17 % + 6 %
Viertes Jahr des Aufschwungs im Vergleich zum Jahr vor der Krise 2017 vs. 2011 2025 (Prognose) vs. 2019
 

+15 %

+2.037.732 Einheiten

-16 %

-2.600.022 Einheiten

Der Autor des Artikels, Felipe Munoz, ist  Automotive Industry Specialist bei JATO Dynamics.

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