Mit neuem Stil, mehr Charme und modernem PHEV-Antrieb will der seit 10 Jahren erhältliche Schwedenbrocken die Oberklasse-SUVs aufmischen
Gefühlt seit 100 Jahren (tatsächlich 10) auf dem Markt, ist der Volvo XC90 aus dem Straßenbild kaum noch wegzudenken. Beim zweiten Facelift im letzten Jahr haben die Schweden ihr Flaggschiff nochmal gründlich aufpoliert und auch technisch auf den letzten Stand gebracht. Wir haben die Top-Version T8 Recharge ausführlich getestet.
Der Volvo XC90 ist so etwas wie das skandinavische Wohnzimmer auf Rädern. Seit 2015 steht er in der Modellpalette und hat sich als feste Größe im Premium-SUV-Segment etabliert. Nach den behutsamen Überarbeitungen von 2019 und 2024 zeigt sich der XC90 gereift, mit frischem Design und aufgewertetem Innenraum - und bleibt dabei dem Markenmotto treu: nachhaltiger Luxus, der sich nie aufdrängt, aber immer da ist, wenn man ihn braucht. In einem Markt, in dem BMW X5, Mercedes GLE und Audi Q7 oft den Takt vorgeben, setzt der XC90 auf Understatement statt Überholprestige - ein Statement auf Rädern.
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Während mancher Wettbewerber auf der Straße auf dicke Hose macht, bleibt der XC90 nordisch zurückhaltend. Mit fast fünf Metern Länge und knapp zwei Metern Breite ist er zweifellos ein großes Auto, doch seine klaren Linien und der Verzicht auf überflüssige Spielereien machen ihn zu einer eleganten Erscheinung. Dass er in dieser Grundform schon 10 Jahre auf dem Markt ist, sieht man ihm nicht auf den ersten Blick an.
Das überarbeitete Frontdesign mit markanterem Grill und den präzise gezeichneten LED-Leuchten - liebevoll "Thors Hammer" genannt - erinnert an die schlichte Schönheit schwedischer Architektur: funktional, schön, ohne überflüssigen Schnickschnack. Auch das Heck mit den typischen hohen Rückleuchten bleibt ein Markenzeichen. Wer es mag, dass ein Auto nicht lauter auftritt als sein Fahrer, wird den XC90 lieben.
Im Innenraum trifft nordische Wohnlichkeit auf moderne Technik. Echtes Aluminium, feine Stoffe, weiches Leder, ein heller Alcantara-Himmel - das Ambiente könnte auch aus dem Showroom eines Stockholmer Interior-Designers stammen. Ein besonderer Eyecatcher ist der Wählknauf aus echtem Kristallglas, der nachts auch schön beleuchtet ist. Insgesamt ist das alles eher noble Lounge denn schnöder Autoinnenraum. Von schreienden Farben und bunten Displays hält sich der Schwede stilvoll fern. Das gilt (leider) auch für die einfarbige Ambientebeleuchtung.
Das große Panoramadach lässt Licht herein wie ein Sommerabend am Vänernsee. Die Sitze bieten Langstreckenkomfort, die Massagefunktion fühlt sich an wie eine kleine Auszeit vom Alltag. Hinten sitzt man ebenso großzügig, bequem und hat sehr viel Platz. Praktisch: die dritte Reihe ist nicht nur Staffage, sondern tatsächlich nutzbar - zumindest für kurze Strecken. Der Kofferraum bleibt dabei groß und funktional.
Der Kofferraum des Volvo XC90 T8 Recharge bietet bei aufgestellter dritter Sitzreihe 262 Liter Volumen. Wird die dritte Reihe umgeklappt, stehen 640 Liter zur Verfügung. Mit umgelegter zweiter und dritter Sitzreihe wächst das Ladevolumen auf 1.816 Liter. Die Ladefläche ist dabei weitgehend eben, was das Beladen erleichtert. Unter dem Ladeboden findet sich ein praktisches Fach für das Ladekabel und kleinere Gegenstände.
Die Bedienung ist stark Google-orientiert, was in puncto Navigation und Sprachsteuerung überzeugt, aber kaum Spielraum zur Individualisierung lässt. Das digitale Kombiinstrument wirkt aufgeräumt, aber wenig anpassbar. Wie auch bei den Brüdern von Polestar oder Lynk & Co lässt sich der Bordcomputer immer nur kurz einblenden. Und wer sich den elektrischen Verbrauch anschauen möchte, geht leer aus. Angezeigt wird nur der Benzinverbrauch.
Apple CarPlay funktioniert nur per Kabel - ein kleiner Anachronismus in einem so modernen Umfeld. Ist aber nicht so schlimm, denn da das hauseigene Navi ein praktisch unverändertes Google Maps ist, braucht man zumindest für die Navigation eigentlich keine Smartphone-Integration. Zudem gibt es im Google Playstore auch alle relevanten Apps zum Download.
Etwas störend sind allerdings die Klavierlack- und Chromflächen, die schneller Fingerabdrücke sammeln als ein Tatortermittler. Absolut positiv hingegen sticht das Bowers & Wilkins-Soundsystem heraus: druckvoller Klang, glasklare Höhen, beeindruckende Räumlichkeit - man fühlt sich fast wie im Konzerthaus von Göteborg. Genauso beeindruckend ist das große Headup-Display, das sehr scharf und hell abbildet, aber dafür mit Informationen geizt. Eine Navikarte wie bei manchen Mitbewerber wird hier nicht gezeigt.
Der Spurhalteassistent zeigt die Fahrbahn hübsch animiert und arbeitet präzise, kapituliert aber ab 140 km/h - typisch schwedisch zurückhaltend? Dabei wäre 150 oder 160 km/h so ein schönes Reisetempo für diesen Langstreckenkünstler. Zudem erkennt er die Hand am Lenkrad nur über Lenkmoment - ein Relikt aus der Zeit vor dem kapazitiven Fortschritt. Wer das Brötchen am Lenkrad einklemmt, fährt weiter. Dabei funktionieren alle Assistenten im besten Sinne unauffällig. Nur der vorgeschriebene Tempowarner nervt, kann aber mittels Lenkradtaste schnell deaktiviert werden. Zumindest bis zum nächsten Neustart ...
Der Plug-in-Hybrid-Antrieb passt gut zum Konzept des XC90: recht kraftvoll, aber nie protzig. 455 PS Systemleistung und 709 Nm Drehmoment sorgen auf dem Papier dafür, dass der große Schwede jederzeit souverän unterwegs ist. Nach 455 PS fühlt sich das aber eigentlich nie an. Irgendwie hakelt die Zusammenarbeit zwischen Vierzylinder-Turbobenziner und Elektromotor öfter mal, zum Beispiel wenn schnell Leistung abgefordert wird. Hier dauert es manchmal einige (wertvolle) Zeit, ehe sich das System durchorganisiert hat.
Besonders störend ist zudem das Verhalten beim Losfahren. Rein elektrisch geht es zügig los. Beim Umschalten auf Verbrenner verzögert das Auto trotz unveränderter Pedalstellung unvermittelt und benötigt viel mehr Pedalweg, um weiter zu beschleunigen. Das nervt und führt zu einer ziemlich unruhigen Fahrweise. Das One-Pedal-Drive erweist sich dagegen als wohltuend sanft und vorausschauend - es unterstützt den Fahrer im Stadtverkehr spürbar und hilft auch beim Spritsparen.
Das ist auch nötig. Bei leerer Batterie steigt der Verbrauch auf der Autobahn auf rund 12 Liter, was angesichts der Größe und Leistung nicht überrascht. Man kann bei ruhiger Fahrweise aber auch unter 10 l/100 km bleiben. Unser Testwagen wies laut Bordcomputer einen Langzeitverbrauch über knapp 6.000 Kilometer von 9,8 l/100 km aus. Die elektrische Reichweite liegt real bei etwa 50 Kilometern, was für den Alltag in der Stadt oder als Pendler meist ausreicht, aber keine Rekorde aufstellt.
Der Volvo XC90 T8 Recharge bleibt auch beim Laden seinem skandinavisch-pragmatischen Charakter treu: Über den Typ-2-Anschluss zieht der große Schwede einphasig bis zu 3,7 kW aus der heimischen Wallbox oder der öffentlichen AC-Säule - genug, um den Akku in etwa drei bis fünf Stunden wieder aufzufüllen. Wer mag, kann den Plug-in-Hybriden zur Not auch an der Haushaltssteckdose laden, was allerdings eher Geduld und Muße erfordert. Schnellladen per DC? Fehlanzeige - da bieten andere PHEV mittlerweile mehr.
Volvo liefert ein Ladekabel mit, das mit Schutzmechanismen wie Fehlerstrom- und Temperaturüberwachung ausgestattet ist. Ein LED-Ring am Ladeport zeigt den Status an, und das System startet den Ladevorgang nur, wenn das Kabel verriegelt ist - so sicher wie ein schwedisches Ferienhaus im Winter.
Der XC90 gleitet eher als dass er fährt. Das Luftfahrwerk schluckt Unebenheiten souverän und bügelt alles glatt, was ihm unter die großen 21-Zöller kommt. bleibt aber in Kurven spürbar von der Masse des Autos geprägt. Der Sportmodus strafft zwar das Fahrwerk spürbar, zaubert aus dem Schweden aber keinen Kurvenkünstler. Wer kurvige Landstraßen bevorzugt, ist mit einem sportlicheren SUV besser beraten.
Gut gelungen ist die Lenkung. Seidenweich und trotzdem gefühlvoll bietet sie genau den Lenkkomfort, den man bei einem solchen Auto erwartet. Übertriebene Rückmeldung spart sie sich. Im Zweifel bremst das ESP die dicke Fuhre sowieso ein, bevor man den Gripverlust im Lenkrad spüren könnte.
Der XC90 fühlt sich am wohlsten auf langen Autobahnetappen oder entspannten Überlandfahrten - eben wie ein skandinavisches Ferienhaus auf Rädern. Der freiwillige Verzicht auf Höchstgeschwindigkeiten jenseits der 180 km/h passt da zwar ins Bild, wirkt aber trotzdem wie der Vorsatz eines Alkoholikers, nur noch fünf Bier am Tag zu trinken ...
Ab rund 88.000 Euro steht der XC90 T8 Recharge beim Händler. Mit ein paar Häkchen in der Aufpreisliste kratzt man schnell an der 100.000-Euro-Marke. Unser Testwagen - ein "Ultra Bright" als Siebensitzer mit jeder Menge Extras - steht mit 108.120 Euro zu Buche. Dafür bekommt man viel Auto, viel Komfort und viel skandinavischen Charme - und ein Fahrzeug, das seine Besitzer auf langen Reisen genauso entspannt wie im Alltag.
Alternativen gibt es allerdings genug: Der BMW X5 xDrive45e startet in Deutschland ab etwa 100.915 € in der Basisversion. Der Mercedes‑Benz GLE 350 de 4Matic (Diesel/Elektro) beginnt laut Hersteller bei 75.565 €. Modelle mit AMG-Line und Panoramadach rangieren bei etwa 103.000-109.600 €. Der Audi Q7 TFSI e quattro 55 ist ein naheliegender Konkurrent: Seit Ende April 2024 startet das Modell bei 85.500 €, die leistungsstärkere 60er-Version liegt bei 96.000 €.
Ja, er ist alt, der Schwede. Zehn Jahre sind im Automobil-Universum eine Ewigkeit. Volvo hat es aber mit sanften, aber wirkungsvollen Modellpflegen geschafft, das Flaggschiff auf Kurs zu halten. Dabei ist der Volvo XC90 kein Schnäppchen, bietet aber jede Menge Oberklasse-Feeling und vor allem den typischen schwedischen Charme, mit dem er sich von seinem Premium-Kontrahenten wohltuend absetzt.
Kleine Schwächen wie die etwas altbackene Lenkradüberwachung, den unharmonischen Hybrid-Antrieb oder die kabelgebundene Smartphone-Integration verzeiht man gern - spätestens, wenn man den Sound der Bowers & Wilkins-Anlage genießt und entspannt durch die Landschaft gleitet. Schwerer wiegt die Tatsache, der der Vierzylinder-Hybrid mit seiner unharmonischen Abstimmung den Oberklasse-Eindruck leider etwas verwässert. Daher erwischten wir uns öfter beim (politisch sicher nicht korrekten) Gedanken, wie ein schöner Sechszylinder-Diesel dieses Auto perfektionieren würde. Schande über uns ...