Vor 60 Jahren startete die Marke ihr unglaubliches Comeback
Im Jahr 1965 zeigt die Auto Union auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt ein Modell, das den Beginn einer neuen Epoche markiert: den Audi F103. Es ist das erste Fahrzeug seit dem Zweiten Weltkrieg, das wieder den traditionsreichen Namen Audi trägt.
Zuvor sind die Produkte des Konzerns vor allem unter dem Namen DKW bekannt, verbunden mit Zweitaktmotoren, die in den 1960er-Jahren nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Mit dem F103 vollzieht Audi den notwendigen Schritt in die Moderne. Ein wenig erinnert es an die Namensspiele von heute: Neben Audi ein AUDI in Großbuchstaben ohne Ringe für China.
Der historische Hintergrund des ersten Neo-Audi vor 60 Jahren ist eng mit der Übernahme der Auto Union durch Volkswagen im Jahr 1964 verbunden. VW sucht nach einer Ergänzung zum eigenen Programm und gibt der Ingolstädter Marke eine neue Richtung. Zudem muss man die Werker in Ingolstadt beschäftigen. (Was bis 1969 auch durch die Fertigung des Käfer erfolgt.) Der bisherige DKW F102 lastet die Bänder nicht mehr aus, vor allem wegen seines Zweitakters steht er wie Blei auf den Händlerhöfen.
An der Lösung ist indirekt auch Daimler-Benz beteiligt, dem Auto-Union-Besitzer zwischen 1958 und 1964. Dort schickt man Ludwig Kraus als Chefingenieur nach Ingolstadt. Er bringt den sogenannten "Mitteldruck-Motor" (Verdichtung 1:11,2) mit, der eigentlich für einen nicht verwirklichten neuen Mercedes der unteren Mittelklasse konzipiert ist.
Der F103 basiert zwar noch auf dem DKW F102, doch anstelle des veralteten Zweitaktmotors kommt ein Vierzylinder-Viertakter mit obenliegender Nockenwelle zum Einsatz. Dieser Motor stammt wie erwähnt ursprünglich von Daimler-Benz und gilt als solide, leistungsfähig und zuverlässig. Damit positioniert sich Audi sofort anders: weg vom Zweitakt-Image, hin zu moderner Technik und höherwertigen Fahrzeugen.
Angeboten wird das Modell in mehreren Versionen, die sich in Hubraum und Leistung unterscheiden: Audi 60, Audi 72, Audi 75, Audi 80 und Audi Super 90. Die Motoren leisten zwischen 55 und 90 PS, was für damalige Verhältnisse solide Fahrleistungen ermöglicht. Je nach Ausführung erreicht der F103 eine Höchstgeschwindigkeit zwischen 135 und 160 km/h. Der Hubraum reicht von 1,5 bis 1,8 Liter, das Drehmoment sorgt für eine vergleichsweise gleichmäßige Leistungsentfaltung. Der Verbrauch liegt bei etwa 9 bis 11 Liter pro 100 Kilometer.
Mit einer Länge von 4,38 Meter, einer Breite von 1,62 Meter und einem Radstand von 2,49 Meter gehört der Wagen zur unteren Mittelklasse seiner Zeit. Das Leergewicht liegt bei knapp einer Tonne. Detail am Rande: Alle vier Kotflügel sind einzeln abschraubbar. Im Prospekt von 1965 zeigt Audi ausführlich die direkt neben dem Getriebeblock montierten Scheibenbremsen. Und preist den "abwaschbaren Kunststoffhimmel" und die "zwei Ascher im Fond". Ausdrücklich wird erwähnt, dass Mercedes den Motor entwickelt hat, womöglich als Qualitätsmerkmal. Schließlich müssen Bedenken zerstreut werden.
Im Innenraum fällt eine Besonderheit sofort auf: die serienmäßige Lenkradschaltung. Sie ermöglicht es, auf der weichen durchgehenden Vordersitzbank drei Personen nebeneinander unterzubringen, was damals als praktischer Vorteil gilt. Für heutige Fahrer wirkt die Bedienung allerdings ungewohnt. Das Einlegen der Gänge erfordert mehr Präzision als bei einem klassischen Schalthebel am Mitteltunnel, und man muss sich erst an die Bewegungen gewöhnen.
Zwar ist sie als H-Schaltung konzipiert, aber man muss ziehen, drücken und mit langen Wegen plus unklaren Schaltebenen klarkommen. Beispiel Rückwärtsgang: Reindrücken, zu sich ziehen und nach oben mit dem Hebel. Erst ab 1969 gab es optional eine Mittelschaltung. Das Platzangebot geht in Ordnung, die Verarbeitung kann man im zeitgenössischen Sinne als gediegen bezeichnen.
Makellos ist die fast perfekte Übersicht, kein Mitteltunnel stört den Fußraum, das große Lenkrad mit dünnem Kranz passt in die Zeit. Der typische Klang des Mitteldruckmotors (hier mit 72 PS Leistung aus 1,7 Liter Hubraum) gelangt ans Ohr, der noch ohne Ziffer schlicht "Audi" genannte Wagen gibt sich durchaus spritzig. 14,8 Sekunden auf Tempo 100 sind damals ein guter Wert, 148 km/h beträgt die Höchstgeschwindigkeit.
Wie schon vor 60 Jahren mag auch unser Audi keinen Kaltstart, er ruckelt gewisse Zeit bei niedrigen Drehzahlen. Also lautet die Devise: Immer schön am Gas bleiben. Nicht nur deshalb ist der Motor stets präsent. Auf die Autobahn möchte ich den Audi ungern scheuchen, aber auf kurvigen Landstraßen fühlt er sich wohl. Das Alter merkt man ihm nicht an, erst beim Bremsen muss man herzhaft zutreten, um eine Wirkung zu erreichen.
Im Rückblick ist der Audi von 1965 weniger eine technische Revolution als vielmehr ein Übergangsmodell, doch seine historische Bedeutung ist groß. Er ebnet den Weg für die Wiedergeburt der Marke, die mit dem Audi 100 nur wenige Jahre ab 1968 später endgültig in der Mittelklasse etabliert wird. 1972 folgt mit dem Audi 80 ein weiterer Bestseller.
Ohne den F103 hätte Audi den Sprung aus dem Schatten von DKW und Volkswagen nicht geschafft. Das erste Modell von 1965 ist damit Symbol für den Neustart der Marke und zugleich ein wichtiger Meilenstein der deutschen Automobilgeschichte. Dennoch ist er heute sehr selten geworden: Rost hat fast den gesamten Bestand dahingerafft, die Ersatzteillage ist überschaubar.