Vor 30 Jahren griff man in Wolfsburg zum Farbwürfel, 2025 pilotieren wir sagenhafte 45 PS
1995 ist jetzt 30 Jahre her. Lesen Sie diesen Satz gerne noch einmal. Ich konnte es auch kaum glauben. Aber Tempus fugit, die Zeit rast. Ich erinnere mich noch wie gestern daran, als ich damals meiner Mutter den frischen Polo III anpries: Schau mal, das ist ein kleiner Golf! Nun, sie entschied sich dann doch für einen richtigen Golf.
Dennoch ist mir der VW Polo 6N, so sein ganz offizieller Name, nie aus dem Gedächtnis gegangen. Viele Jahre lang war er im Straßenbild omnipräsent, sogar heute sieht man ihn noch gelegentlich. Exakt 3.806 Exemplare des Millionendings (inklusive aller Varianten und Modellpflegen waren es bis 2002 gut 2,5 Millionen Stück) sorgten hingegen für richtig viel Aufsehen.
Der Polo Harlekin war schon divers, als dieser Begriff noch gar nicht zum Schlagwort wurde. Für ihn gibt es die Farben Blau, Rot, Gelb und Grün als Sonderausstattung - und zwar alle auf einmal. Ursprünglich entstanden lediglich 20 Exemplare des sogenannten Ur-Harlekin als Werbeträger, um das Baukastenprinzip der Ausstattungsmodule zu veranschaulichen.
Aufgrund der positiven Resonanz entschied sich Volkswagen, die bunte Variante in Serie anzubieten. Zwischen 1995 und Anfang 1997 wurden insgesamt 3.806 Fahrzeuge ausgeliefert. Der Polo Harlekin war in vier festgelegten Farbkombinationen erhältlich, eine individuelle Auswahl durch den Käufer war nicht möglich. Das Farbkonzept folgte einem festen Schema, bei dem keine gleichfarbigen Karosserieteile direkt nebeneinander angeordnet wurden.
Man merkt: Selbst wenn Deutsche einmal mutig und kreativ werden, folgt alles einem Plan. Gründlichkeit und so, Sie wissen schon. Jeder VW Polo Harlekin war ein Fünftürer, erstmals gab es den Polo generell auch mit hinteren Zugängen. Aufpreis regulär: Rund 900 Mark, mit Servolenkung nochmals knapp 1.000 Mark mehr. Beim zwischen 26.000 und 28.000 DM teuren Harlekin war sie serienmäßig. Ein Drehzahlmesser auch.
Genau der irritiert mich im ersten Moment, als mir VW inmitten der ID.Poloesken IAA 2025 in München den Schlüssel für den museumseigenen Harlekin überlässt. Schon von außen schreit das Auto: NEUNZIGER! Die vier Farben, aus denen er sich zusammensetzt, heißen Flashrot, Ginstergelb, Pistazie und Chagallblau. Speziell Pistazie sah man damals an so manchem Polo.
Innen brauche ich gefühlte zehn Sekunden, um mich zurechtzufinden: Ein Lenkrad, zwei Lenkstockhebel und zwei Airbags, drei Lüftungsregler, eine Handvoll Schalter, Radio Alpha, fünf Gänge, fertig. Hier piept und bimmelt NICHTS. Das lauteste Geräusch im Stand sind Motor und Blinker. Wobei der Vierzylinder-Benziner mit 1.043 Kubikzentimeter Hubraum erstaunlich leise bleibt. Sofort quirlt man fröhlich mit 955 Kilogramm Polo durch die Stadt und über Land.
Durch große Fensterflächen blickt man hinaus, die Sitze sind auch nach 30 Jahren noch erstaunlich bequem. Man spürt eine Verbindlichkeit, die manch modernem Auto abgeht. Eigentlich fehlt einem im Harlekin nichts, höchstens die Spice Girls im Radio. Wem die 275 Liter Kofferraum nicht genügen, soll halt einen unbunten Polo Classic mit Stufenheck nehmen. Oder den Kombi. Ja, sogar das gab es.
Auf der Autobahn ist Schluss mit lustig. Alle Farbigkeit verblasst, wenn man das Gaspedal durch das Bodenblech tritt, um so etwas wie Leistung zu erhalten. 76 Newtonmeter bei 2.800 U/min sagt das Datenblatt. Und auch 21,4 Sekunden auf Tempo 100. Buddhistisch-meditative Geduld ist gefragt. Plus ein dickes Trommelfell. Bei 120 km/h jagen trotz fünftem Gang knapp 4.500 Umdrehungen durch die Ohren. "Gemütliches Dahinplätschern" auf der Autobahn befand damals der ADAC im Test. Eine sehr freundliche Formulierung.
Wobei: So unrecht haben die Kollegen aus heutiger Sicht eigentlich nicht. Wer will schon einen dreißig Jahre alten Kleinwagen im Eiltempo (145 Spitze wären möglich) von München nach Wolfsburg prügeln? Eben. So ein VW Polo III der frühen Jahre ist ein dankbarer Youngtimer für gelegentliche Ausfahrten in die Vergangenheit. Eine Zeitmaschine für die Generation X und die Millenials. Es muss ja kein Harlekin sein, eine der 90er-Farben reicht bereits. Und für die 18-Jährigen der Zukunft darf VW gerne einen ID. Polo Harlekin bringen.